Saint-Blaise am Neuenburgersee. Die Sonne kämpft sich mit der Kraft des späten Frühlings durch die Wolken, das Wasser glitzert in verschiedenen Blautönen. Ein Kursschiff tuckert Richtung Neuenburg. Steve von Bergen, 35, blickt auf den See hinaus. Es ist ein Bild mit Symbolcharakter. Denn schon bald bricht der Captain des Schweizer Fussball-Meisters Young Boys auf zu neuen Ufer.
Nach 19 Jahren Profileben beendete er am Samstag gegen Luzern seine Karriere. «Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie das sein wird», sagt von Bergen. Etwas ist ihm aber schon jetzt klar: «Ich werde die Tränen nicht zurückhalten können.» Neben ihm steht Ehefrau Haira, 32: «Ich war mir fast sicher, dass er noch ein Jahr weitermacht. Eines Morgens sagte er mir zwar, er höre auf. Aber nach dem nächsten Sieg wollte er wieder zwei Jahre weiterspielen.»
Tatsächlich war der YB-Captain hin und her gerissen: «Allein auf der kurzen Fahrt von Saint-Blaise nach Neuenburg habe ich meine Meinung vermutlich fünfmal geändert.» Dass er nun einen Schlussstrich zieht, ist für ihn logisch: «Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Und was gibt es Schöneres, als mit dem Meisterpokal in Händen abzutreten?»
Für Tochter Alessia, 7, wird der Schritt des Vaters aber nicht ganz einfach. «Sie hat es geliebt, ins Stadion zu kommen», erzählt von Bergen, «und das Grösste für sie war es, als ihr Vater auf einem Panini-Bildchen abgebildet war.» Damit ist nun Schluss. Schon vor einigen Wochen wollte Alessia von ihrem Vater wissen: «Was muss ich den anderen Kindern sagen, wenn sie mich fragen, was du jetzt machst?» Von Bergen lacht, wenn er diese Geschichte erzählt. Doch eine Antwort hat er nicht.
Was er sicher weiss: Die Young Boys geben ihm die Möglichkeit, weiter im Klub zu arbeiten. Zunächst will er Abstand gewinnen und das machen, was er seit Jahren nicht mehr tun konnte – ausgedehnte Ferien im Sommer: «Wir werden ans Meer und in die Berge fahren – für volle sechs Wochen.» Anfangs sei eine Reise durch Australien zur Debatte gestanden, aber für Söhnchen Hugo wären die Strapazen zu gross.
Von Bergen junior ist erst 18 Monate alt. Die Familie wird für Steve von Bergen künftig noch stärker ins Zentrum rücken. Ehefrau Haira sagt: «Die Zeit im Fussball war für uns alle ein grosses Privileg. Aber nun können wir ein normales Familienleben führen. Darauf freue ich mich ganz speziell.» Und für ihren Steve hat sie schon den einen oder anderen Auftrag: «Jetzt muss er kochen – und den Garten bestellen.» Sie sagt es mit einem herzlichen Lachen – und fügt an: «Steve ist nicht nur ein guter Fussballer, auch als Ehemann und Vater ist er Extraklasse.»
Schon während seiner Aktivzeit stellte von Bergen das Wohl seiner Liebsten über Verdienst und Reputation. Als ihm der Rummel bei der US Palermo zu gross wurde, entschied er sich für die Rückkehr in die Schweiz: «In Italien ist es nicht möglich, sich als Fussballer frei in der Öffentlichkeit zu bewegen.» Von Bergen erinnert sich an ein Derby gegen Catania: «Bevor wir in den Car stiegen, verabschiedeten uns 3000 Fans beim heimischen Stadion. Und nachdem wir durch einen Treffer in der letzten Minute einen Punkt gegen den Erzrivalen gerettet hatten, wurden wir von 6000 Tifosi frenetisch gefeiert. Die Fans rissen uns vor Begeisterung alle Kleider vom Leib.» Als er morgens um fünf Uhr in den Unterhosen nach Hause gekommen sei, stellte sich ihm ein grundsätzliches Problem: «Was sagst du in einer solchen Situation deiner Frau?»
Der sizilianische Begeisterungssturm konnte von Bergens Privatleben nichts anhaben. Und auch sonst ist der 50-fache Internationale erfrischend normal geblieben. Hier schreitet von Bergen allerdings ein: «Was heisst schon normal? Im Fussball genügt es vermutlich, dass man kein Auto für 100 000 Franken fährt und nicht jeden Tag neue Kleider kauft, um normal zu wirken.»
Diese Selbsteinschätzung bestätigt seine Bescheidenheit. Von Bergen wurde von seinen Eltern – Vater Jean arbeitet bei der Post, Mutter Nadine bei der Neuenburger Kantonsverwaltung – nach konservativen Massstäben erzogen. Dies änderte sich auch nicht, als er bei Neuchâtel Xamax im Jahr 2000 das erste Profiangebot erhielt. Sein Vater habe ihm gesagt, das sei schön und gut: «Aber zuerst machst du das KV fertig.» Fussballerisch schlägt von Bergens Herz für YB: «Ich hab hier sportlich eine Heimat gefunden.»
Zu Hause ist für ihn aber Saint-Blaise. Hier wohnt er Tür an Tür mit seinem besten Freund – Xamax-Stürmer Raphaël Nuzzolo. Die beiden kennen sich seit der Jugend und haben schon manches Grillfest zusammen gefeiert. Dies wird sich in Zukunft intensivieren. Für Steve von Bergen mit einem entscheidenden Unterschied: «Ich kann ohne schlechtes Gewissen ein Bierchen trinken.»