«Buuuch-Mami, los mau», ruft Gaia und streckt Elissa, 40, ihre pinken Kopfhörer entgegen. Elissa setzt sie auf und beginnt mit dem Kopf zu wippen. Gaia gigelet.
«Buuuch-Mami» zählt zu den wenigen berndeutschen Wörtern, die Elissa versteht. Sie ist Amerikanerin, spricht nur Englisch. Aber das ist egal – Elissa spürt, was Gaia, 3, will. Weil sie auf das Engste mit ihr verbunden war: Neun Monate trug sie Gaia in ihrem Bauch.
Elissa ist Gaias Leihmutter. Sie hat das Mädchen für die beiden Väter Raphael, 39, und Ciccio, 40, ausgetragen. Genetisch ist sie nicht mit ihr verwandt. Die leibliche Mutter ist eine anonyme Eizellenspenderin, die Spermien stammen von Ciccio.
Zweieinhalb Jahre ist es her, seit die Schweizer Illustrierte die beiden Väter besucht hat. «Gaia ist ein Anfängerbaby», sagten sie. Die Kleine schlief nach einem Monat bereits durch, nahm ohne Murren das Fläschchen.
«Heute ist sie ein richtiges Luusmeitschi», sagt Ciccio und steckt ihr Haar mit einem Klämmerchen zurück. «Du hast eine Sturmfrisur, Principessa.» Gaia lacht und will noch mehr Klämmerchen.
Elissa beobachtet die beiden vom Sofa aus. «Gaia ist in den besten Händen», sagt sie dann. Seit einer Woche ist sie auf Besuch in der Schweiz. Morgen reist sie zurück in die USA. «Ich vermisse die drei schon jetzt.»
Bei Elissa zu Hause in Minnesota hängt in jedem Zimmer ein Bild von Gaia und ihren Vätern: «Sie gehören zu meiner Familie.» Elissa hat selbst zwei Söhne. «Ich sage immer: Gaia ist die Tochter, die ich nie hatte.»
«Eine Adoption war nicht möglich. Mir wäre das lieber gewesen.»
Raphael, Vater
Für Raphael und Ciccio ist Gaia die Tochter, die sie sich immer gewünscht hatten. Als schwules Paar durften sie in der Schweiz keine Kinder adoptieren. «Mir wäre das lieber gewesen», sagt Raphael, der einer Leihmutterschaft zuerst skeptisch gegenüberstand.
In der Schweiz ist die Leihmutterschaft verboten. Weil sie viele ethische Fragen aufwirft: von den gesundheitlichen Risiken für die Leihmutter über die Kommerzialisierung und die Gefahr der Ausbeutung von Frauen in Notsituationen. Dennoch wird der Ruf nach einer Legalisierung immer lauter.
Elissa ist im Internet auf das Thema Leihmutterschaft gestossen. «Je mehr ich darüber las, desto mehr wollte ich das selbst erleben.» Warum will eine Frau ein fremdes Baby austragen, das sie nach der Geburt nicht mal behalten kann? Elissa muss nicht lange nachdenken. «Meine Kinder bedeuten mir alles», sagt sie. «Es macht mich traurig, wenn ich Paare sehe, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt.» Als gesunde, gebärfähige Frau habe sie die Möglichkeit gehabt, Leben in eine Familie zu bringen. «Ich sah keinen Grund, das nicht zu tun, auch weil ich sehr gerne schwanger bin.» Elissa selbst ist adoptiert. «Darum weiss ich, dass nicht die Gene entscheiden, wie eng eine Bindung ist.» Ihr sei von Anfang an klar gewesen: «Gaia gehört mir nicht, ich bin nur Teil ihrer Entstehung.» Sie respektiere Frauen, die sich darauf nie einlassen würden. «Aber ich möchte auch respektiert werden.»
Weit über 100'000 Franken haben Raphael und Ciccio für die Leihmutterschaft bezahlt. Ein Fünftel bekam Elissa. «Viele denken, eine Leihmutter sei nur am Geld interessiert», sagt die gelernte Pflegefachfrau. «Aber glaubt mir, ich hätte das auch ohne Geld gemacht.» Bei Elissa klingt dieser Satz wahrhaftig. Weil sie den Raum mit der Gelassenheit einer Frau füllt, die sich ihrer sicher ist. Und so wirkt auch Gaia. Für eine Dreijährige wählt sie ihre Worte sehr sorgfältig, verhandelt, wenn ihr etwas nicht passt, geht offen auf Fremde zu.
Gaias Väter arbeiten beide Teilzeit – Raphael als Flight-Attendant, Ciccio als Informatiker. Zwei Tage pro Woche geht Gaia in die Kita. Dort realisierte sie auch, dass es neben Vätern Mütter gibt. Mit zwei fragt sie zum ersten Mal: «Wo ist mein Mami?» – «In Amerika», antworten Raphael und Ciccio, «weil du hier ja einen Papa und einen Daddy hast.» Das habe ihr eingeleuchtet. Manchmal holen die Väter auch Bilder von Elissa hervor, von Gaias «Bauch-Mami». «Es ist Karma, dass wir uns mit ihr so gut verstehen.»
«Daddyyy», ruft Gaia aus dem Esszimmer, «ich muss ganz alleine spielen, weil ihr so viel redet.» Raphael und Ciccio schauen sich vielsagend an. «Normalerweise dreht sich alles um sie.» Nun – nicht mehr lange.
Nächsten Sommer bekommt Gaia ein Geschwisterchen. Diesmal ist Raphael der genetische Vater, die Eizellen stammen von der gleichen anonymen Spenderin wie bei Gaia. Die Leihmutter kommt erneut aus Amerika, aber es ist nicht Elissa. Die durfte aus gesundheitlichen Gründen nicht nochmals schwanger werden.
Sind die beiden Väter nun schon richtig routiniert? Ciccio winkt ab: «Im Gegenteil!» Der erste Versuch mit der neuen Leihmutter sei gescheitert – sie wurde nicht schwanger. Und die Väter mussten einmal mehr merken: Niemand kann garantieren, dass aus einem Kinderwunsch ein Kind wird. Auch eine Leihmutter nicht.
Raphael und Ciccio können damit leben, dass manche ihren Lebensentwurf verurteilen. «Aber wir erklären auch gerne, dass es nicht nur eine Definition von Familie gibt.» Und Gaia? Die reagiert auf Fragen unbekümmert. Als sie kürzlich mit Ciccio auf dem Spielplatz war, sagte eine ältere Frau: «So schön, bist du mit dem Papa unterwegs, dann hat Mama jetzt ein bisschen frei.» Gaia antwortete: «Nein, Daddy wartet daheim.»
Nach der SI-Geschichte (2017) bekamen die Väter zahlreiche Medienanfragen. Ab 3. Januar sind sie bei «SRF bi de Lüt» zu sehen (SRF 1).