Herr Rupp, erinnern Sie sich noch an den ersten Schultag mit ihren Kindern?
Nur noch bedingt. Das ist schon über 50 Jahre her. Ich war zu dieser Zeit selbst als Lehrer im Einsatz und unsere Kinder wurden an ihrem ersten Schultag jeweils von meiner Frau begleitet.
Was hat diese Schwelle bei Ihnen als Vater ausgelöst?
Da war sicher ein gewisser Stolz da, dass die Kinder nun so weit sind und ihre Bildungslaufbahn starten. Aber selbstverständlich war für mich auch das Loslassen eine Herausforderung.
Wie haben Sie den Schulstart aus Sicht des Lehrers erlebt?
Es war immer eine sehr spannende und aufregende Zeit. Ich war damals als Mittel- und Oberstufenlehrer tätig und unterrichtete gemischte Klassen. Also zwei bis drei Jahrgänge zusammen. Die neuen Schülerinnen und Schüler gaben der Klassenzusammensetzung jeweils eine neue Dynamik. Das habe ich immer als sehr bereichernd erlebt.
Im Kindergarten durfte man früher hauptsächlich spielen, mit der ersten Klasse fing dann der sogenannte «Ernst des Lebens» an. Ist das auch heute noch so?
Es ist auch heute noch ein grosser und wichtiger Schritt. Der Übertritt vom Kindergarten in die erste Klasse ist allerdings nicht mehr so abrupt wie etwa vor 20 Jahren, sondern verläuft fliessender. Der Kindergarten ist heute ins Schulsystem integriert, gehört zur Primarschule und übernimmt die wichtige Aufgabe, das Kind optimal auf die Schule vorzubereiten.
«Beim ersten Kind geht es sehr stark ums Loslassen. Da tun sich einige Eltern vermehrt schwer damit.»
Wie erleben Sie Eltern im Vergleich zu früher?
Schon anders. Eltern sind heute besser informiert als früher und teilweise auch engagierter, was die Beteiligung am Schulalltag anbelangt. Gerade beim ersten Kind geht es sehr stark ums Abnabeln und Loslassen. Da tun sich einige schon vermehrt schwer damit.
Sie reden von den Helikopter-Eltern.
Ich habe Mühe mit diesem Schubladisieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass Eltern nur das Beste wollen für ihr Kind. Im Idealfall sehen Eltern und Lehrpersonen sich als Partner, die beide nach besten Kräften das Kind unterstützen.
Was braucht es für einen gelungenen Schulstart?
Gegenseitiges Vertrauen ist das allerwichtigste: Für die Eltern das Vertrauen ins eigene Kind und in die Lehrperson. Überhöhte Erwartungen an das Kind stellen eine Hürde dar. Es hilft dem Kind, wenn es nicht mit den Leistungen der anderen verglichen wird. Jedes Kind ist einzigartig und entwickelt sich in seinem Tempo. Die individuellen Fortschritte zu schätzen und zu loben, stärkt das Selbstwertgefühl beim Kind.
Was ist mit dem Schulweg? Wie lange sollen Eltern ihr Kind da begleiten?
Ein wichtiges Thema. Die Gespräche und Erlebnisse auf dem Schulweg sind ein zentraler Schritt zu mehr Selbständigkeit und Reife. Den sollte das Kind daher möglichst bald alleine gehen.
Also nicht wochenlang begleiten ...
Ich würde den Schulweg unbedingt im Vorfeld mit dem Kind begehen und mit ihm vor allem das Verhalten bei schwierigen Verkehrssituationen üben. Je nach Charakter braucht das Kind vielleicht in den ersten zwei, drei Tagen noch eine Begleitung, um mehr Sicherheit zu gewinnen. Viel länger meistens nicht. Auch hier geht es für Eltern wieder darum, loszulassen.
«Wichtig für den Schulstart sind geregelte Ess- und Schlafzeiten. Ein Kind, das müde oder hungrig zur Schule kommt, kann sich schlecht konzentrieren.»
Was können Eltern tun, um ihr Kind beim Schuleintritt optimal zu unterstützen?
Ganz wichtig ist ein geregelter Tagesablauf. Also geregelte Ess- und Schlafzeiten. Ein Kind, das müde oder hungrig zur Schule kommt, kann sich schlecht konzentrieren. Wichtig ist auch ein gesunder Znüni.
Und sonst noch?
In der Anfangsphase würde ich auch darauf achten, dem Kind ausreichend Zeit zur Erholung zu geben und fixe Freizeitaktivitäten in einem gesunden Mass zu halten. Es hat so viele neue Eindrücke zu verdauen: Neue Lehrpersonen, Klassengspänli, die neue Umgebung, den Unterricht.
Also nicht schon in der ersten Klasse zwei Sportarten, ein Instrument und eine Fremdsprache?
Das fände ich völlig übertrieben. Es liegt aber letzten Endes im Ermessen der Eltern. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen – und das tönt jetzt vielleicht etwas altmodisch – aber geht doch mit euren Kindern ab und zu in den Wald. Das tut allen Beteiligten gut und bringt deutlich mehr.
Apropos zu viel: Erstklässler treffen heute oftmals auf zwei Hauptlehrpersonen, die sich das Pensum im Teamteaching teilen und mehrere Lehrpersonen aus den Nebenfächern. Das sind dann aufs Mal bis zu fünf Lehrpersonen.
Das ist richtig und nicht unbedingt erleichternd. Diese Situation ist aber nicht zu verwechseln mit Teamteaching, welches für das Kind ein Vorteil sein kann. Je nach Chemie hat es zur einen Lehrperson einen besseren Draht und so eine Auswahl.
Vom Kindergarten bis zum Ende der Primarschulzeit werden viele Kinder heute ausschliesslich von Lehrerinnen unterrichtet. Wo bleibt der Primarlehrer-Nachwuchs?
Den wünschen wir uns auch! Ausschliesslich von einem Geschlecht unterrichtet zu werden ist leider tatsächlich sehr einseitig. Sei das nur von Männer oder nur von Frauen. Doch das ist ein gesellschaftliches Thema und lässt sich nicht von heute auf morgen ändern.
Mamalicious bei SI Family
Jeden Monat präsentieren wir euch auf dem Family Channel der Schweizer Illustrierten ein Thema, das bei Mamalicious gerade heiss diskutiert wird. Das Monatsthema im Juli widmen wir dem Schulstart. Im ersten Teil gehen wir den Fragen nach, welche die Mütter der Community am meisten beschäftigen. Im zweiten Teil kommt Schulexperte Bruno Rupp und im dritten Mamalicious-Gründerin Racha Fajjari mit einem Erfahrungsbericht zu Wort. Zum Schluss gibts einen Medientipp. Dieses Mal die Shubidu-App, einen digitalisierten Familienkalender.
Mamalicious zählt mittlerweile 50'000 Mitglieder. Täglich tauschen sich Mütter in diversen Interessengruppen auf Facebook zu Themen rund ums Muttersein aus. Alle Gruppen sind geschlossen und jede Anfrage wird von den Administratoren persönlich geprüft. Gegründet wurde das Netzwerk 2010 von Racha Fajjari.