Bernard van Dierendonck, was bedeutet «Zero Waste» für Sie?
Kurz gesagt geht es darum, Abfall zu vermeiden. Die Bezeichnung «Minimal Waste» wäre vielleicht treffender, «Zero Waste» hat sich aber als Begriff eingebürgert. Dazu gehört ein sorgfältiger Umgang mit unseren Ressourcen, die nicht unerschöpflich sind. Was wiederum zu einem achtsamen und bewussten Konsumverhalten führt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, «Zero Waste» zu praktizieren?
Ökologisch motiviert und engagiert bin ich seit Kindertagen. Es ist eine Grundhaltung bei mir. Den Ausschlag aber gab vor zwei Jahren eine Reise mit meiner Familie nach Sri Lanka. Wir waren schockiert darüber, wieviel Plastik-Abfall überall herumlag. Am Strassenrand, im Dschungel, am Strand. Das hat uns nachdenklich gestimmt. Zuhause fing ich dann selbst an zu forschen und bin da quasi so reingerutscht.
Was waren Ihre ersten Schritte zu weniger Abfall?
Ich ging in einen «Zero Waste»-Laden und schaute mich da um. Dann schärfte ich meinen Blick bei den Grossverteilern. Viele Bio-Produkte etwa sind einzeln verpackt.
Das tönt nach einem langen Weg. Wie geht man da strategisch am besten vor?
Am besten macht man zunächst einmal eine Abfall-Analyse mit einer Strichliste: Wovon hat es am meisten? Ich fand bei mir viele Tetra-Packungen und staunte, ob den vielen Papiertaschentücher und dem Haushaltspapier. Und dann gibt es noch die 5R-Regel: 1.) refuse (ablehnen), 2.) reduce (reduzieren), 3.) reuse (wiederverwenden), 4.) recycling (wiederverwerten) und 5.) rot (kompostieren).
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ablehnen kann man beispielsweise Werbesendungen, die in Plastik verpackt daherkommen. Einfach die Adresse durchstreichen und refusée darauf schreiben. Dann hat man Ruhe. «Give aways», die mir am Bahnhof entgegengestreckt werden, lehne ich ab. Beim Kaffee oder Tee im Restaurant gebe ich die eingepackten Guetzli und Zucker sofort wieder zurück und «To Go» im Einweggeschirr ist sowieso ein «No Go».
Die grösste Herausforderung bei Zero Waste: «Man kann nicht einfach loslaufen und planlos einkaufen.»
Um wieviel konnten Sie Ihren Abfall bereits reduzieren?
Von einem 35 Liter Sack pro Woche für unsere vierköpfige Familie zu einem 17 Liter Sack alle zwei Wochen.
Ein eindrückliches Resultat! Welcher Bereich bereitet Ihnen am meisten Mühe?
Die grösste Herausforderung ist, dass man den Einkauf im Vorfeld sehr gut planen muss. Wann mache ich einen Grosseinkauf? Wann gehe ich auf den Markt, wann zum Metzger? Man kann nicht einfach loslaufen und planlos einkaufen.
Mamalicious bei SI Family
Jeden Monat präsentieren wir euch auf dem Family Channel der Schweizer Illustrierten ein Thema, das bei Mamalicious gerade heiss diskutiert wird. Im August widmen wir uns dem Thema Nachhaltigkeit. Welche Mamalicious-Gruppen gibt es dazu und was bieten sie (Teil 1)? Wie schaffen es unsere Family-Redaktorinnen, im Alltag die Umwelt zu schonen (Teil 2)? Was sagt Experte Bernard van Dierendonck zum Thema (Teil 3)? Schliesslich haben wir für euch noch einen Medien-Tipp.
Sie planen also Ihren Einkauf und dann?
Ich ziehe mit Stofftaschen oder Korb und Einmachgläsern los und fülle alles ab.
Auch Fleisch?
Ja. Ich verwende dazu eine verchromte Metallbox und lasse mir das Fleisch direkt dort reinlegen. Das wird mittlerweile sogar bei den Grossverteilern akzeptiert.
Sind Sie da auch schon auf Widerstand gestossen?
Zu Beginn sehr oft. Ich habe dann eine eigene Strategie entwickelt.
Erzählen Sie.
Beim Metzger etwa merkte ich, dass ich selbstbewusst auftreten muss. Mein Tipp: Nicht zögerlich fragen, ob man das Fleisch im eigenen Behälter mitnehmen kann, sondern das freundlich und bestimmt einfordern. Am Anfang habe ich zudem immer ein gepflegtes Hemd angezogen und mich frisch rasiert. Das hat geholfen.
Also weg vom Image des veganen Öko-Freaks mit Rastas.
(lacht) Zero Waste betrifft uns alle. Und gerade uns Schweizer: Pro Kopf verursachen wir rund 700 Kilogramm Abfall pro Jahr. Das ist weltweit eine absolute Spitzenposition.
Wie sieht es punkto Hygienevorschriften beim Fleisch aus?
Es ist klar: Der Behälter muss sauber sein. Dann gibt es auch nichts zu beanstanden.
Weitere Tipps für cleveres Einkaufen?
Brot beim Bäcker direkt in einen Stoffbeutel geben lassen anstatt in die Papiertüte. Als Beutel kann man auch einen alten Kissenbezug verwenden. Das wäre ein Beispiel aus der 5R-Regel für refuse und reuse. Wenn Verpackung, dann möglichst gross und recyclebar. Also Zucker im Kilopack und nicht in einzelnen Zuckerstängeli.
«Zero Waste ist kein Lifestyle für Gutverdienende. Es lohnt sich für jedes Budget.»
Um Plastik zu vermeiden, bietet der Markt mittlerweile nachhaltige Bambus-Zahnbürsten, Metalltrinkhalmen oder Bienenwachstüchern an. Was halten Sie von solchen Produkten?
Auf den ersten Blick sind sie verlockend. Es ist allerdings nicht die Idee von Zero Waste, einen Konsum durch einen neuen zu ersetzen.
Von wegen Konsum: Sie gehen auf den Markt, kaufen beim Beck und Metzg ein. Ist Zero Waste überhaupt bezahlbar für eine Familie mit kleinerem Einkommen?
Der einzelne Einkauf kann zunächst erschrecken und ist tatsächlich teurer. Da man aber viel bewusster einkauft und nachhaltiger lebt, geht die Milchbüchlein-Rechnung am Ende eben doch auf: Zero Waste ist kein Lifestyle für Gutverdienende. Es lohnt sich für jedes Budget.
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