Der Waldkindergarten ist bei uns ein grosses Thema. Meine Tochter ist noch keine drei Jahre alt und bereits jetzt will eine Nachbarin wissen, ob ich unser Mädchen auch einmal in die Waldspielgruppe schicke. Dies erhöhe die Chance auf einen Platz im beliebten Waldkindergarten. Sind diese Kindergärten tatsächlich so genial? - Ramona (33)
Liebe Ramona
Waldkindergärten liegen im Trend. Mittlerweile gibt es in fast jeder Region einen. In einzelnen Gemeinden kommen gar bis zu 40 Bewerbungen auf einen Platz. Und das skandinavische Konzept überzeugt: Ein Kindergarten, der, wie der Name es sagt, ausschliesslich im Wald stattfindet. Nur bei extremen Witterungsverhältnissen ziehen sie sich zurück an einen sicheren Ort. Das kann ein Bauwagen oder eine Mehrzweckhalle sein.
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«Wie im regulären Kindergarten halten sich die Lehrpersonen auch hier an den Lehrplan. Die Lerninhalte werden lediglich in einer anderen Form vermittelt», sagt Ruth Fritschi, oberste Kindergärtnerin vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.
So müssen sich die Kinder im Wald ihre Spielinhalte selber geben. Es gibt keine Bäbi-Ecke und keinen Verkäuferliladen, keine Spielküche mit Pfannen, Plastiktomaten und Geschirr. Auch fehlen Tische und Stühle zum Basteln. In der Natur dürfen, ja müssen, sie fantasieren: Gräser sind dann vielleicht Spaghetti. Tannenzapfen dienen als Löffel, aus Erde machen die Kindergärtler Schoggipulver und Blätter ersetzen Münzen, um zu zahlen.
«Die Kids dürfen Hütten bauen, im Dreck wühlen, Bäche überqueren und über Baumstämme klettern – all das stärkt ihr Selbstvertrauen und lehrt Ängste abzubauen.»
Statt Puppen umsorgen die Kinder Schnecken und Käfer. Sie lernen aber auch die Natur zu achten und können nach kurzer Zeit Bäume, Tiere, Blumen und Kräuter benennen. Sie dürfen Hütten bauen, im Dreck wühlen, Bäche überqueren und über Baumstämme klettern – all das stärkt ihr Selbstvertrauen und lehrt Ängste abzubauen. Die Pädagogik in freier Wildbahn soll sich zudem positiv auf die Motorik, die Sprachentwicklung und das Immunsystem von Kindern auswirken, wie die Fachleute auf ihren Websites schreiben.
Ich bin überzeugt, dass der Waldkindergarten für ganz viele Kinder eine enorme Bereicherung ist. Denn immer mehr leiden unter grossen Bewegungsdefiziten: Kindergärtnerinnen erzählen von Fünfjährigen, die fast keine Treppe mehr hoch kommen. «Andere haben Angst einen Hügel hinunter zu laufen und können keinen Purzelbaum mehr schlagen», sagt Fritschi.
Ich persönlich schicke meine Mädchen trotzdem in den regulären Kindergarten. Denn ich bin eine Mami, die mit ihren Töchtern täglich im Freien ist. Wir sind viel im Wald, suchen Schnecken, Blätter und Tannenzapfen. Als ehemalige Pfadileiterin kann ich Hütten bauen, Seile spannen und Feuer machen – und es meinen Töchtern später mal beibringen.
Was ich hingegen weniger kann, ist Basteln, Nähen und Zeichnen. All die Dinge, für die die Kleinen im herkömmlichen Kindergarten ausgiebig Zeit finden. Zudem habe ich mich als Kind selbst immer auf die Bäbi-Ecke und all die anderen Spielsachen gefreut. Spielsachen, die auch meinen Töchtern Freude machen. Am Ende wissen die Eltern, was für ihre Kinder am besten ist.
Herzlich, Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.