Neugierig beäugt die Giraffendame den grünen Tannenzweig, der ihr entgegengestreckt wird. Schnuppert, zögert, tastet ihn mit ihrer Zunge ab – und denkt sich wohl: Was ist das denn nun?
Es ist der Ast eines Christbaums. Seit vier Jahren schenkt die Migros unbehandelte Weihnachtsbäume, welche sie nicht verkauft hat, dem Zoo Zürich. Eine Tradition, die nachhaltig ist. Dieses Jahr liefert der Grossist knapp 100 Nordmanntannen aus der Region. «Die perfekte Menge, so müssen wir nichts wegwerfen», freut sich Dominik Ryser (38) Kommunikationsleiter des Zoos Zürich. «Die Christbäume halten gut ein paar Wochen, da sie draussen gelagert werden.» In den Genuss der Nadelhölzer kommen beispielsweise Giraffen, Trampeltiere, Kleinkameliden wie Lamas, Alpakas, Vikunjas oder Guanakos und die Afrikanischen Zwergziegen. Den Bären werden sie nicht zum Fressen, sondern zur Beschäftigung gereicht.
Verfüttert werden die Christbäume an diesem Tag an die vier Netzgiraffen-Kühe Malou (7) Luna (7) Irma (6) und Jahi (6). Zuerst einmal gibts einen Baum zur Probe. Bevor die Tanne richtig aufgehängt werden kann, müssen die Giraffen kurz aus der Innenanlage hinaus in den hinteren Bereich der Lewa Savanne. Das geht ruckzuck, denn der Tierpfleger braucht nur ihre Namen zu rufen, und schon dislozieren die Damen. «Unsere Giraffen und Nashörner kennen ihre Namen und hören auf sie. Andere Tierarten in der Lewa Savanne reagieren dagegen auf unterschiedliche Tonsignale», erzählt Dominik Ryser.
Kaum ist der Baum in der passenden Höhe für die bis zu fünf Meter grossen Tiere platziert, kommen sie auch schon wieder reingetrabt. Das Interesse für das festliche Mahl bleibt vorerst bescheiden. Erst mit der Zeit nähern sie sich dem kopfüber hängenden Tännchen und naschen an ihm. «Für die Giraffen ist der Christbaum ein Snack zwischendurch», erzählt Dominik Ryser. «Eine Abwechslung. Sie knabbern daran und finden den ungewohnten Geschmack interessant, bevorzugen dann aber trotzdem das frische Laub, das sie sonst als Futter bekommen.»
Giraffen ernähren sich hauptsächlich von Blättern verschiedener Laubbäume. Jedes Tier frisst davon pro Tag rund 30 Kilogramm. Wie Kühe sind Giraffen Wiederkäuer. Das heisst, sie zerkauen die zuvor gefressene Nahrung noch einmal. Und mit den spitzen Nadeln der Tanne haben die Tiere überhaupt kein Problem: Fressen sie doch in ihrem natürlichen Habitat in Afrika sehr gern Akazien. «Mit ihrer bis zu 50 Zentimeter langen bläulichen Zunge erreichen Giraffen ohne Probleme die durch Dornen geschützten Blätter von Akazienbäumen. Sie sind es sich also gewohnt, mit stachligen Pflanzen umzugehen», erklärt Ryser.
In einem für Besucherinnen und Besucher nicht zugänglichen Bereich gibt es an diesem besonderen Tag ausnahmsweise für die SI-Journalistin und die Verantwortlichen des Zoos die Möglichkeit, die Giraffen von Hand zu füttern – natürlich mit ein paar Tannenzweigen, die vorher von den Christbäumen abgeschnitten wurden. Diese Art der Fütterung scheint die Tiere mehr zu interessieren: Neugierig beginnen sie, an den dargebotenen Ästen zu knabbern. Mit ihrer aussergewöhnlichen Zunge tasten sie zuerst den Zweig ab, um dann kräftig daran zu ziehen. Und ja, es ist schon ein besonderes Erlebnis, diese bildschönen, eleganten und individuell gezeichneten Paarhufer so hautnah erleben zu dürfen. Fast ein bisschen wie Weihnachten.