Früher hatten die Walliser kaum Löcher in den Zähnen, wohl auch, weil sie schon als Kinder immer auf Roggenbrot herumkauten. «Was der Speichelbildung und damit auch der Zahngesundheit zuträglich war», erzählt Edmund Steiner, Präsident des Vereins Erlebniswelt Roggen in Erschmatt VS.
Zur Begrüssung streckt er Familie Schneider einen Teller voller harter Brotstücke hin. Prompt hat Mama Caroline ein Déjà-vu: «Stimmt, meine Grossmutter hatte auch immer einen Sack voller Roggenbrotstücklein in der Küche stehen!» Genussvoll legt sie sich einen steinharten Brocken in den Mund. Ehemann Daniel und die Töchter Adina, 11, und Leni, 5, wollen auch probieren. «Vorsicht», weist Edmund seine Besucher an. «Nicht beissen, sondern tschurggu.» Das ist Walliserdeutsch für «lutschen».
Jetzt aber an die Arbeit! Bei der Erlebniswelt Roggen in Erschmatt geht es schliesslich nicht nur um die Konsumation des feinen Traditionsgebäcks, sondern um dessen Herstellung. Vom Dreschen des Korns (sprich: «Choru») über das Mahlen in verschiedenen Mühlen (100 Gramm Mehl darf jeder Teilnehmer nach Hause nehmen, zusammen mit einem feinen Rezept für Roggen-Crêpes) bis hin zum aufwendigen Backprozess im 300 Jahre alten Holzofen.
Die Teigstube ist ein kleiner, auf 26 Grad beheizter Raum. Der Sauerteig lebt von der Wärme. «Seit 30 Jahren zehren wir vom selben Stück», sagt Edmund nicht ohne Stolz. In der Mitte des Raums steht eine Teigmulde, den Wänden entlang ziehen sich Tablare, die bald von Mehl nur so stäuben werden.
Bevor es los geht, waschen sich Adina und Leni noch einmal die Hände. «Ab jetzt bitte kein Wasser mehr», sagt Edmund und zeigt den Kindern, wie man seine Hände alternativ reinigen kann: Man reibt sie so lange mit dem groben Mehl ein, bis sie wieder sauber sind. So machen es die Roggenbrotbäcker seit Jahrhunderten.
Das Getreide mit der langhaarigen Ähre wird im Wallis seit ungefähr 2000 Jahren angebaut, das weiss man von Pollenfunden in den Hochmooren. Zur Erlebniswelt Roggen gehört ein Getreidesortengarten, der die regionale Artenvielfalt erhalten soll. Ein Biologe vermittelt das Hintergrundwissen den Besuchern.
Das Brotbacken in Erschmatt ist eine Entdeckungsreise für alle Sinne. Adina und Leni lauschen Edmunds Geschichten, schminken sich gegenseitig mit Mehlstaub und stibitzen hie und da etwas frischen Teig. Der Erlebnistag «Vom Choru bis zum Brot» kostet für Familien (bis zu 8 Personen) 480 Franken. Am Schluss nimmt jeder Teilnehmer ein Brot nach Hause.
Edmund ist für die Geschichte und die Zubereitung des Walliser Roggenbrots zuständig. Das Rezept stammt aus Zeiten der Selbstversorgung, als es noch hiess: «Herts Brot isch nid hert, kei Brot isch hert.» Die Trocknung macht die kleinen runden Laibe mindestens sechs Monate haltbar. «Früher hat sich das ganze Dorf jeweils im April und im November am Ofen getroffen, um für das kommende Halbjahr zu backen», erzählt er, während die Familie gemeinsam mit Holzkellen in der schweren Teigmulde rührt.
Noch hat der Teig die Konsistenz von flüssiger Polenta, Leni darf mit einer Schaufel nach und nach mehr Mehl zufügen, bis er formbar wird. Das dauert schon eine gute Stunde. Dann werden lange Rollen, zusammengeknetet, nochmals gerollt. Schliesslich erklärt Edmund der Familie, wie die Teigportionen zu bearbeiten sind, damit ein kegelförmiger Laib entsteht. So lässt sich die traditionelle Prägeform besonders gut andrücken.
Adina und Leni fertigen aus ihren Brocken einen Roggen-Grittibänz. Auch der hat Tradition: Ziäbil heissen die lustigen Brotmännchen. Jetzt nur noch eine Stunde warten, während das Brot bei 290 Grad im Ofen schwitzt. Dann zwei Tage trocknen lassen, fein schneiden und wenn es hart wird, genussvoll «tschurggu». Da freut sich der Schulzahnarzt!