Seit Tom Schneider (47) ein kleiner Junge war, träumte er davon, Pilot zu werden. Mittlerweile ist er nicht nur Linienpilot bei der Fluggesellschaft Edelweiss, sondern hilft auch anderen Menschen, ihren Traum vom Fliegen zu verwirklichen. Am Flughafen Zürich bietet er als Seminarleiter Kurse gegen Flugangst an.
Tom Schneider, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Seminare gegen Flugangst anzubieten?
Ich habe meine Erstausbildung im Bankwesen absolviert. Schon damals fiel mir auf, dass viele Geschäftsleute unter Flugangst leiden. Die offiziellen Zahlen zeigen dies deutlich: In der westlichen Welt leiden rund 30 Prozent der Menschen unter Flugangst oder fühlen sich an Bord einer Maschine unwohl.
Sie bieten Ihr Seminar auch für Kinder an. Leiden diese häufiger unter Flugangst als Erwachsene?
Alle Gesellschaftsgruppen sind gleichermassen betroffen: Vielflieger, Urlauber, Erwachsene und je länger je mehr auch Kinder.
Welche Ursachen hat Flugangst?
Bei den meisten Betroffenen zeigen sich ähnliche Ursachen: Wir wissen eigentlich, dass ein Flugzeug ein sicheres Verkehrsmittel ist, was sich in der Statistik zeigt. Alleine aber zu wissen, dass Fliegen um ein vielfaches sicherer ist, als Autofahren, bringt einem nichts, wenn man nicht auch nachvollziehen kann, weshalb das so ist! Menschen mit Flugangst fehlt daher oft das Wissen über die technischen Abläufe, Mehrfachabsicherungen, Training der Crew, Wetterphänomene und so weiter. Ohne dieses Wissen fühlt sich das Betreten eines Flugzeugs an, als würde man die Kontrolle abgeben. Man fühlt sich ausgeliefert. Unser Angstzentrum, die sogenannte Amygdala, schlägt Alarm. Wenn man jedoch verstanden hat, wie Fliegen funktioniert und warum es so sicher ist, verschwindet das Gefühl des Kontrollverlusts.
Tschüss, Flugangst!
Pilot Tom Schneider leitet seit 15 Jahren Seminare gegen Flugangst und verspricht, dass auch Kinder ihre Flugangst in nur drei Stunden ablegen können. Das Kinder- oder Familienseminar kann individuell gebucht werden.
Für Kinder zwischen 9 und 16 Jahren bietet Tom Schneider ausserdem kurz vor den Sommerferien einen offiziellen Termin an: Sonntag, 30. Juni um 12.30 Uhr am Flughafen Zürich. Kosten: 250 Franken pro Person. Interessenten können sich direkt unter info@goodbyeflugangst.ch anmelden.
Wie erklären Sie solch komplexe Zusammenhänge einem Kind?
Das ist ganz einfach. Luft verhält sich in der Strömungslehre sehr ähnlich wie Wasser. Wenn ich also erkläre, welche Kräfte ein Flugzeug in der Luft halten, nutze ich Wasser zum Vergleich. Genauso ist es beim Antrieb und den Turbulenzen. So wird das Unsichtbare sichtbar.
Wovor fürchten sich Menschen mit Flugangst am meisten?
Oft werden Ängste im Zusammenhang mit Luftlöchern genannt. Dazu muss man wissen, dass es gar keine Luftlöcher gibt – das erkläre ich im Seminar anschaulich. Auch vor Turbulenzen fürchten sich viele und ein möglicher Triebwerksausfall wird immer wieder genannt. Hier zeige ich auf, wie ein Flugzeug gewartet wird und dass, anders als bei einem Auto, jedes flugrelevante System zwei bis drei Backups hat. Somit tangiert ein theoretischer Systemausfall die Sicherheit nicht. Dass es wirklich zu einem Zwischenfall kommt, ist sehr unwahrscheinlich.
Dennoch kommt es vor.
Was die Wenigsten wissen: praktisch alle Fluggesellschaften, die in den letzten Jahren noch in Zwischenfälle involviert waren, sind auf einer Schwarzen Liste, weil sie sich nicht an gängige Sicherheitsmassnahmen halten. Ausserdem haben wir oft noch Unfälle vor Augen, die bereits 20 Jahre oder noch weiter zurück liegen. Nur schon die Jahre, während denen ich fliege, also seit 2001, kann man nicht miteinander vergleichen. Reisen mit dem Flugzeug ist in dieser Zeitspanne nochmals exponentiell sicherer geworden.
Warum leiden dann so viele Menschen noch an Flugangst?
Wir haben viele unrealistische Bilder im Kopf, sei es durch Filme oder teils auch aufgebauschte Medienberichte.
Was vermitteln Sie noch in Ihrem Seminar?
Der Kurs dauert im Einzelsetting circa drei Stunden. Wenn ich ihn mit einer Gruppe durchführe, kann er gut vier Stunden dauern, weil viele individuelle Fragen auftauchen. Das Seminar beinhaltet kurz gehaltene Theorieblöcke, welche folgende Fragen beantworten: Was ist Angst? Wie wird man Pilot? Was braucht es, damit so ein grosses Flugzeug fliegen kann? Dazu Infos zu Mehrfachabsicherungen, Trainings und Turbulenzen. Dieser Teil wird im Kinderseminar simpel und buchstäblich kinderleicht gehalten. Danach folgt für die Kinder eine Flugzeugbegehung am Boden, bei der ich alles nochmals erkläre. Wie der sogenannte «Outside Check», welcher vor jedem Flug von einem Piloten gemacht wird und sicherstellt, dass der Flieger in einem einwandfreien Zustand ist. Und das, obwohl dies das technische Team bereits getan hat.
Wo Menschen arbeiten, passieren aber auch Fehler.
Deswegen gibt es in allen Phasen klar festgelegte Abläufe, in denen jeder Arbeitsschritt teils mehrfach überwacht und nachgeprüft wird. Ich zeige im Seminar auf, wie gewissenhaft diese Schritte eingehalten werden und dass sicherheitsrelevante Bereiche eine grosse Sicherheitsmarge aufweisen, so dass ein Fehler nicht mehr sofort zu einem Zwischenfall führen kann.
Zurück zu den Kindern: Was können Eltern tun, damit bei ihrem Kind gar nicht erst Flugangst entsteht?
Kein Kind kommt mit Flugangst zur Welt. Sie entsteht immer im Laufe der Entwicklung. Oft haben natürlich auch die Eltern ein mulmiges Gefühl beim Fliegen. Deswegen werden meine Flugangst Seminare auch von ganzen Familien gebucht, die danach bestens vorbereitet und als Team in die Ferien fliegen.
Wie können Eltern ihre eigene Flugangst managen, so dass sie nicht auf das Kind übergeht?
Ehrlich mit den eigenen Gefühlen umzugehen, ist der Schlüssel. Es nützt nichts, wenn man dem Kind vorspielt, dass alles in Ordnung ist, während man Schweisstropfen auf der Stirn hat. Besser wäre es, sich mit eigenen Unsicherheiten auseinanderzusetzen und der Angst zu begegnen. Angst ist ja grundsätzlich ein überlebenswichtiges Gefühl. Nur manchmal entsteht sie durch falsche Bilder oder Unwissen. Nicht immer kommt die Flugangst der Kinder aber von den Eltern. Gerade die sozialen Medien schüren solche Ängste. Da kursieren Videos auf Pausenplätzen, in denen falsche Aussagen als Fakten hingestellt werden. Es hilft also auch, die Medienkompetenz von Kindern früh zu schulen, damit sie reißerische Inhalte oder Fehlinformationen erkennen lernen.
«Angst ist ein überlebenswichtiges Gefühl. Nur manchmal entsteht sie durch falsche Bilder oder Unwissen.»
Tom Schneider, Flugangst-Coach
Wann macht ein Flugangst-Seminar am meisten Sinn?
Es gibt Teilnehmer die wirklich am Tag danach einen Flug antreten. Einmal hatte ich sogar eine Dame am Sonntagnachmittag da, welche am Abend noch in den Flieger stieg. Allerdings kommt man dann schon mit dem Druck, dass es jetzt klappen muss, in den Kurs. Ich empfehle, das Seminar eine oder zwei Wochen vor dem Flug zu besuchen. So kann man das Gelernte etwas auf sich wirken lassen und es bleibt Zeit, um Fragen, die nach dem Seminar auftauchen, nachzureichen. Manche Menschen belegen das Seminar auch ohne gebuchten Flug und entscheiden sich erst im Nachhinein, dass sie einen Flug buchen möchten.
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Flugangst nach dem Seminar verschwindet?
Gross. Ich habe in 15 Jahren als Seminarleiter gegen Flugangst eigentlich nie erlebt, dass das Seminar ganz ohne Effekt blieb. Bei den meisten verschwindet die Flugangst auf Anhieb, während andere ein bis zwei Flüge benötigen, um sich den altbekannten Strukturen zu entziehen. Es gibt übrigens sogar Flugbegleiterinnen, die vor Jahren ein Seminar besuchten und das Fliegen jetzt zum Beruf gemacht haben.