«Mutter zu werden ist die schönste, gleichzeitig aber auch die nervenaufreibendste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Wegen der Angst. Permanent dieses Gefühl, dass meinem Sohn etwas zustossen könnte. Einfach furchtbar ist das», sagt die französisch-amerikanische Schauspielerin und Filmemacherin Julie Delpy, 49, im Interview im NZZ am Sonntag Magazin. Die beiden Journalistinnen befragen sie im Gespräch über ihre Beziehung zu ihrem Sohn Leo. Und bekommen schonungslos offen zu hören, was auch viele andere Eltern tagtäglich beschäftigt. «Mein Sohn ist jetzt zehn Jahre alt, und die Angst hat mich jeden einzelnen Tag begleitet. Alle anderen Sorgen kriege ich einigermassen in den Griff. Nur diese nicht.»
Dass Eltern ihre Kinder beschützen wollen, ist natürlich. Doch zu viel Behütung kann den Nachwuchs ängstlich machen, wie Annette Cina, Leitende Psychologin und Psychotherapeutin des Zentrums für Psychotherapie der Universität Fribourg in einem Artikel aus dem Wissenschaftsmagazin der Universität warnt.
Ängstliche Mütter oder Väter können ihren Kindern Ängste nämlich quasi antrainieren. «Schon kleine Kinder spüren sehr genau, wenn ihre Eltern ängstlich sind», sagt Annette Cina. «Unbewusst senden Eltern Signale aus, dass etwas nicht stimmt, dass man auf der Hut sein muss.» Das könnten zum Beispiel schwitzende Hände oder ein unruhiger Blick sein.
Doch im Alltag mit Kindern ist es manchmal ein schmaler Grat zwischen Überbehütung und zu viel Freiheit. «Gesunde Eltern haben in der Regel ein feines Gespür dafür, was ihren Kindern zumutbar ist», sagt Psychologin Cina im Artikel. Was aber, wenn einem aus lauter Sorge ums Kind dieses Gespür abhanden kommt? Übertragen sich dann die eigenen Ängste ungefiltert aufs Kind?
So schlimm ist es dann doch nicht, wie die Psychologin sagt. Das elterliche Vorbild sei nur ein – wenn auch wichtiger – Faktor für die Entwicklung. Sowohl genetische, biologische als auch sozio-kulturelle Einflüsse spielten eine Rolle, wie entsprechende Forschungen zeigen würden. «Nicht jede Angst des Kindes kann auf Erziehungsfehler reduziert werden. Und nicht jeder Erziehungsfehler ist gleich ein Debakel.»
Wichtig sei, dass wir unsere Kinder primär befähigen, selbstständig zu leben. Und dafür sind folgende Punkte wichtig: Ängstliche Eltern müssen sich ihrer eigenen Angst bewusst werden und lernen, damit umzugehen. Und schliesslich eine klare Trennung zwischen sich und ihren Kindern ziehen.
Julie Delpy versucht zumindest, ihrer Angst zu begegnen. Mit ihrem neuen Film «My Zoe», der ab 14. November in den Deutschschweizer Kinos zu sehen ist. Darin geht sie der Frage nach, ob sie ihr Kind sogar klonen würde. Im Gespräch mit dem NZZ am Sonntag Magazin gibt sie keine klare Antwort dazu. «Sonst aber bin ich bereit, einfach alles zu tun», sagt sie. «Die Wahrheit ist: Gäbe es nicht genug zu essen, würde ich mir für meinen Sohn auch ein Bein abhacken.»
Aber auch mit der Realisierung des Films sei es ihr nicht gelungen, den Horror zu verlieren: «Jetzt, da ich meiner Angst Bilder und Worte gegeben habe, ist sie sogar noch schlimmer geworden. Ich muss immer noch darüber schreiben.»
Bestimmt gibt es ganz viele Eltern, die gerne mehr darüber lesen werden. Denn es ist doch immer so: Zu wissen, dass es anderen genau so geht, erleichtert einem das Grübeln etwas. Und man kann vielleicht sogar mal mit anderen Eltern über seine gemeinsamen Ängste lachen. Oder so wie Julie Delpy mit ihrem Sohn, der sich Mamas Sorgen sehr bewusst ist: «Er hat daraus sogar ein Spiel gemacht», verrät sie im Interview mit der Zeitung. Er frage sie jeweils, wenn sie sich zwischen ihm oder der Oma oder sonst wem entscheiden müsste, für wen würde sie sich entscheiden? «Ich sage ihm dann ganz klar: Für Dich!»