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Romina weiss Rat

Krankheit und Tod: «Kinder ertragen die Wahrheit»

Wenn geliebte Menschen, wie zum Beispiel die Grosseltern, unheilbar erkranken, behalten viele Eltern ihre Gefühle erst einmal für sich. Sie möchten ihre Kinder schonen und wagen daher oft nicht, mit ihnen über die Krankheit zu sprechen. Doch Kinder können meist besser mit der Wahrheit umgehen, als wir ihnen zutrauen, sagt Familienexpertin Romina Brunner.

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4 year old girl holding 70s woman's hand while senior woman is lying in a hospital bed

Altern und Krankheit gehören zum Leben. Es macht keinen Sinn, das vor Kindern zu verstecken.

Getty Images
Romina Brunner, SI Online Familien Bloggerin, bei sich zu Hause in Birchwil ZH, am 09.11.2018, Foto Lucian Hunziker
Romina Brunner

Meine Schwiegermutter erkrankte vor einem halben Jahr an Krebs. Bislang informierten wir unsere kleinen Kinder nicht. Nun muss sie aber immer häufiger ins Spital und das Geheimhalten wird zunehmend schwierig, denn mittlerweile ist die Oma auch äusserlich vom Krebs gezeichnet. Die Ärzte geben ihr noch wenige Monate. Wann sollen wir unsere Kinder über ihre Krankheit informieren? Bislang wollten wir sie schonen. — Tina

Liebe Tina

Es ist verständlich, dass ihr euren Kindern den Schmerz und die Trauer ersparen möchtet, das geht wohl vielen Eltern ähnlich. Doch auch Kinder haben ein Recht, die Wahrheit zu erfahren und diese ertragen sie oft besser, als wir ihnen zutrauen.

Fragt Romina!

Habt ihr auch ein Thema, das euch beschäftigt? Dann schreibt ein Mail an romina@schweizer-illustrierte.ch

«Sobald Kinder im Alltag vom Schicksal betroffen sind, etwa durch vermehrte Besuche im Spital, sollten Eltern mit ihnen über die Krankheit der betroffenen Person reden», sagt Erwachsenenbildnerin Susanne Baldini. Denn die Kinder bekämen ohnehin mit, dass etwas passiert sei. «Wenn man sie im Ungewissen lässt, kann es geschehen, dass sie die bedrückte Stimmung falsch deuten und sich ihre eigenen, teilweise unheimlichen Erklärungen konstruieren», so Baldini. Dies könne Kinder am Ende mehr belasten als die Wahrheit.

Liebe Tina, dürfen deine Kinder ihre Oma ab und an im Spital besuchen - sofern das die Covid-Schutzmassnahmen zulassen - haben sie Zeit, Abschied zu nehmen und den Vorgang zu verarbeiten.

Auch bei kleinen Kindern kannst du Begriffe wie Krankheit oder Tod ruhig beim Namen nennen. Kinder mögen kurze, klare Antworten. Zum Beispiel: «Der Schlauch gibt deiner Oma Luft, damit sie besser atmen kann.» Oder: «Den Katheter braucht sie, weil sie zu schwach ist um alleine aufs Klo zu gehen.» -  «Dank den Medikamenten hat sie weniger Schmerzen. Das ist ähnlich, wie wenn du Hustensirup bekommst oder ein Algifor gegen Fieber.»

So hat Romina Brunner als Kind den Tod ihrer Grossmutter verarbeitet

Ich kann mich noch gut an die vielen Besuche im Krankenhaus erinnern, als meine Grossmutter ins Spital musste. Wie wir ihr Zeichnungen und Blumen gebracht haben und sie ganz blass im Gesicht war und zunehmend knochig. Mein kleiner Bruder und ich, wir waren erst fünf und sieben Jahre alt und durften jeweils nur ganz kurz ins Spitalzimmer, danach mussten wir im Spielraum auf meine Eltern warten, was für uns wesentlich angenehmer war. Obwohl wir nicht wirklich realisierten, wie schlecht es unserer Oma ging, war die Trauer allgegenwärtig. Wir haben viel gemalt. Nur mit schwarzer Farbe. Meine Mutter hat die Zeichnungen heute noch.

Einmal schliesslich, wir waren bereits auf dem Rückweg, sagte unsere Mutter: «Jetzt ist Oma gestorben.» Wir weinten alle, nur mein Vater steuerte wortlos den Wagen. Ich weiss noch wie ich ihn gefragt habe: «Papi, warum weinst du nicht?» Ich erinnere mich auch an die die Beerdigung und die vielen Besuche auf dem Friedhof. Doch das Faszinierende ist, wie schnell ich wieder lachen konnte. Obwohl ich meine Oma heiss geliebt und noch jahrelang abends im Bett zu ihr gesprochen habe.

Unsere Expertin für Familienfragen

Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.

Kinder sind nie zu klein für die Wahrheit

Liebe Tina, gerne liste ich für dich und deine Familie die wichtigsten Tipps auf, wie ihr mit der erkränkung ihrer Grossmutter umgehen könnt:

  1. Es ist wichtig den Kindern die Wahrheit zu sagen, doch wir sollten sie nicht mit Informationen überladen. Kinder brauchen nicht die gleichen Informationen wie Erwachsene. Die Wahrheit sollten Eltern allerdings unbedingt kindgerecht formulieren.
     
  2. Für die Wahrheit sind Kinder nie zu klein. Man kann schon einem Säugling erzählen, dass Mama traurig ist, weil es der Grossmutter nicht gut geht. Viel entscheidender ist laut Psychologen, abzuschätzen was Kinder verstehen und was sie wissen wollen. So versteht ein Dreijähriges noch nicht, was sterben bedeutet. Ihnen können wir aber sagen, dass die Omi nun nicht mehr mit auf den Spielplatz kommen kann oder in die Badi, weil sie nun im Himmel ist. Hilfreich sind auch immer Gegenfragen. Was meinst du, Anna? Wo glaubst du Fritzi, ist die Oma jetzt?
     
  3. Auf die kranke Omi bezogen kannst du zum Beispiel sagen:  «Deine Grosi hat eine ganz schlimme Krankheit und muss nun sehr oft ins Spital.  Das ist sehr traurig und es kann sein, dass sie stirbt.» Falls die Kinder nicht weiter fragen, brauchst du auch nichts weiteres zu erklären. 
     
  4. Wichtig für den Trauerprozesse sind Rituale. Den Kindern fällt das Loslassen leichter, wenn sie Abschied nehmen dürfen. Denn um den Verlust zu verarbeiten, muss das Kind trauern und fragen dürfen. Je näher und unmittelbarer ein Todesverlust eine Familie trifft, umso wichtiger ist das gemeinsame Bewältigen dieses Schicksalschlages. Ihr könnt zum Beispiel Kerzen anzünden, ein Fotoalbum anschauen oder auch alte Geschichten aufwärmen und die Kinder erzählen lassen.  Vielleicht können sie der Verstorbenen eine Zeichnung malen, ein Stein schmücken oder ein Kerzchen im Glas ans Grab bringen. All das hilft mit der Trauer umzugehen und das Schicksal zu verarbeiten.
     
  5. Hilfreich sind auch folgende Broschüren: «Wie Kinder trauern» und «Wie sagt man es den Kindern?»

Ich wünsche dir und deiner Familie viel Kraft!

Herzlich, Romina

 

Von Romina Brunner am 18. Oktober 2020 - 08:09 Uhr