Die Schweiz liegt flach. Ob es bei sich zu Hause oder in der Kita ist: «Es gaht öppis umme», wie man auf gut Zürcherdeutsch sagt. In den kalten Monaten sind es vor allem Erkältungen, die uns und die Kinder befallen. Manche gleich mehrmals: Besorgte Eltern melden sich, wenn das Kind Monat für Monat sich etwas einfängt. Marc Sidler, Präsident vom Berufsverband Kinderärzte Schweiz, sagt, dass dies völlig normal sei. «Es gilt: In den ersten Lebensjahren macht ein Kleinkind acht bis zwölf Mal im Jahr eine leichte Infektion durch, wie zum Beispiel eine unkomplizierte Mittelohrentzündung, Mandelentzündung, ein Infekt der oberen Luftwege oder eine Magen-Darm-Infektion.»
Säuglinge geniessen anfangs noch einen Antikörperschutz von der Mutter, den sogenannten Nestschutz. Lässt dieser nach, ist ein Kind überall dort, wo noch eine «Immunität» fehlt, anfälliger für eine Infektion. Sidler: «Häufig sind erstgeborene Kinder im ersten Lebensjahr weniger krank, wenn sie zu Hause betreut werden, da sie seltener mit Krankheitserregern in Kontakt kommen. Mit Geschwistern oder dem Besuch familienexterner Betreuungseinrichtungen werden auch sie nicht ‹verschont› mit den üblichen Erkältungen und Infektionskrankheiten.» Dies habe aber durchaus einen positiven Aspekt: «Das Immunsystem der Kinder wird durch diesen Kontakt mit den Erregern ‹trainiert›, was es für die kommenden Jahre stärkt.»
Als Sonderfall hebt Sidler die Corona-Pandemie hervor: «Durch die Einschränkung der Kontakte gab es im ersten Winter signifikant weniger Infekte. Die Kinder holten das aber im darauffolgenden Jahr nach, als wir einen deutlichen Anstieg von Erkältungen und Grippeerkrankungen beobachteten.»
Wann solltet ihr zum Arzt?
Eltern müssen sich also keine besonderen Sorgen machen, wenn das Kind viel krank ist. Ein Arztbesuch mit einem Kleinkind muss auch nicht immer sein. In die Praxis solltet ihr erst, wenn euch das Kind allgemein nicht mehr gefällt. «Ein Schnupfen oder Husten kann mit Hausmitteln gut behandelt werden, solange das Kind trinkt, ruhig atmet und der Allgemeinzustand zufriedenstellend ist.» Sollten sich die Symptome jedoch nach drei bis fünf Tagen trotz Behandlung nicht bessern oder zusätzliche Beschwerden wie anhaltende Ohrenschmerzen, Atemnot oder hohes Fieber hinzukommen, ist ein Arztbesuch ratsam.
Bei Säuglingen unter sechs Monaten drängt sich eine Vorstellung beim Kinderarzt schon früher auf. «Ein Säugling hat weniger Reserven und reagiert empfindlicher auf Erkältungen», sagt Sidler. Besonders wenn bei einem Säugling Fieber ohne andere Begleitsymptome wie Schnupfen oder Husten auftritt, sollte zeitnah ein Arzt konsultiert werden.
Denn Säuglinge sind anfälliger für schwerere Infektionen wie eine komplizierte Mittelohrentzündung oder eine schwere Erkrankung der unteren Atemwege, einer sogenannten Bronchiolitis. «Bei Kindern liegt alles enger zusammen, die eustachische Röhre, also die Verbindung vom Nasenrachen zum Mittelohr, kann anschwellen und eine Mittelohrentzündung begünstigen. Säuglinge haben von Natur aus sehr enge Atemwege, so kann eine Entzündung der kleinen Verästelungen der Lunge, den Bronchiolen, rasch zu Atembeschwerden führen», erklärt Sidler.
Auch wenn Infekte im Kindesalter normal sind, gibt es einige Massnahmen, um das Risiko zu senken: Regelmässiges Händewaschen, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eine ausgewogene Ernährung stärken die Abwehrkräfte. Zur Prävention kann laut Sidler in gewissen Situationen eine Grippeimpfung ratsam sein. Zum Beispiel ist diese bei ehemaligen Frühgeborenen (vor der 32. Schwangerschaftswoche geborene), in den ersten zwei Lebensjahren sinnvoll oder wenn das Kind an chronischen Krankheiten wie Diabetes und Asthma leidet oder Immunsuppressiva einnehmen muss.
Neu wird in der Schweiz seit letztem Herbst für alle ab dem 1. April 2024 geborenen Säuglinge ein Schutz gegen das Respiaratorsche Synzytial-Virus (RSV) in Form eines Antikörpers, einer passiven Immunisierung, empfohlen. RSV kann insbesondere bei Säuglingen zu schweren Atemwegserkrankungen wie Bronchiolitis führen. Die Covid-Impfung empfiehlt man in Fachkreisen unter dem Alter von 16 Jahren nicht mehr.
Paradigmenwechsel in der Behandlung
Führt eine Erkältung zu Komplikationen wird heute weniger schnell zu Antibiotika gegriffen als früher. «In den letzten Jahren ist man deutlich zurückhaltender mit der Antibiotika-Therapie geworden. Da hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Nicht zuletzt auch, weil viele der Infekte virale Ursachen haben und mit einer symptomatischen Therapie (Schmerzlinderung, Nasenpflege) gut behandelt werden können.» Bei Kindern sollten bei einer Mittelohrentzündung entzündungshemmende Schmerzmittel verabreicht werden. Eine erneute ärztliche Vorstellung ist bei fehlender Besserung nach zwei bis drei Tagen empfohlen.
Auch bei einer bakteriellen Mandelentzündung (Angina) wird nur noch bei einem schweren Verlauf eine antibiotische Therapie verordnet. Der Grund: Eine Behandlung mit Antibiotika hat weder einen Einfluss auf die akute Infektion, noch kann sie Komplikationen verhindern. Zudem begünstigt die häufige Verwendung von Antibiotika die Entwicklung von Resistenzen. Das heisst ein Antibiotikum, das früher wirksam war, hat seine Wirkung verloren.