Herr Ramming, der fünfjährige Sohn einer befreundeten Familie weint abends manchmal vor dem Zubettgehen aus Angst, seiner Mama könnte etwas zustossen.
Die Angst um die eigenen Eltern kommt bei Kindern immer mal wieder vor, besonders wenn sie anfangen zu begreifen, was Zeit ist, etwa im Zusammenhang mit einem Verlust, und realisieren, dass das Leben endlich ist. Wenn sie so einen Entwicklungsschritt gemacht haben, nehmen Kinder je nach Alter manchmal mehr war, als sie emotional verarbeiten können. Ebenso kann diese Angst aufkommen, wenn im Umfeld des Kindes jemand stirbt.
Wie kann man diesen Kindern helfen?
Das kommt auf die Situation und das Alter des Kindes an. Wenn Kinder plötzlich merken, wie gross und spannend die Welt ist und viel erleben, ist ein Anker wichtig. Schlafengehen ist gewissermassen eine vorübergehende Ablösung einer Beziehung, deshalb kann die Angst vor einem Verlust der Mama oder des Papas dann aufkommen. In so einem Fall lässt sich ein Kind beruhigen, indem man es in die Arme nimmt und ihm sagt, dass man es gern hat. Oder man bildet einen «Anker», eine konkrete Brücke zum Alltag, sagt zum Beispiel: «Morgen nach dem Aufstehen mach ich dir eine warme Schoggi zum Frühstück», um die Konstanz der Beziehung zu demonstrieren. Eine Fortsetzungsgeschichte kann auch hilfreich sein oder ein Plüschtier, dass die Kinder in den Arm nehmen können.
Wie viel Angst ist normal, wann sollten sich Eltern Hilfe holen?
Wenn das Kind auf die Beruhigung durch seine Bezugspersonen reagiert, sind die Ängste im normalen Rahmen. Wenn sie länger andauern und eine Dynamik entwickeln, Sorgen auf allen Seiten entstehen, sollte man genauer hinschauen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Eltern sich trennen oder jemand sehr krank ist, aber den Kindern noch nichts gesagt wurde. Sie spüren es aber trotzdem und drücken es auf ihre Art aus. Wenn Eltern tatsächlich in so einer Situation stecken und selber nicht wissen, wie sie mit ihren Kindern darüber reden wollen, ist professionelle Hilfe sinnvoll.
Was sind andere typische Ängste von Kindern, denen Sie in Ihrer Praxis begegnen?
Zum Beispiel Dunkelheit, Gewitter oder das klassische Monster unter dem Bett oder im Schrank. Erst kürzlich hatte ein Kind Angst vor Einbrechern. Seine Mutter erklärte ihm dann, bis zu ihnen in den siebten Stock würden es die Einbrecher gar nicht schaffen, und bei ihnen gebe es ohnehin nichts zu holen … (schmunzelt) Wenn ihre Ängste nicht auf konkreten Geschehnissen basieren, versuchen Kinder, Unheimliches in Gestalten und Worte zu fassen. Das hat wie gesagt oft damit zu tun, dass im Kind selber etwas am Laufen ist und es überfordert ist mit der Verarbeitung der Welt.
Philipp Ramming ist Psychologe FSP und Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie FSP sowie Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie SKJP.