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Notabene Chris von Rohr

Das Unwort

Musiker, Produzent und Autor Chris von Rohr, 64, schreibt in seiner neuesten Kolumne über Abschied - ein «gruseliges» Wort, wie er findet. 

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Chris von Rohr
Beat Mumenthaler

Was tue ich hier eigentlich genau? Ich schreibe. Das ist mein Job. Aha. Warum und wozu? Vermutlich habe ich einen endogenen Drang, über das menschliche Treiben zu sinnieren. Indem ich meine Beobachtungen aufschreibe, erkläre ich sie mir sogleich. Leise rieselt der Schnee...

Das Wunder der Sprache, Buchstaben und Wörter macht es möglich, dass wir uns einander mitteilen, immer wieder aufs Neue. Ein Leben ohne Gedanken, Metaphern und Geschichten kann ich mir nicht vorstellen. Allerdings gibt es Begriffe, die in mir einen Fluchtreflex auslösen. Vor 13 Jahren ist mir mit «Meh Dräck», ohne es zu wollen, das Wort des Jahres entsprungen. Seither verfolgt es mich, wo immer ich mich gerade aufhalte. Ich bin langsam am Rand einer Überdosis - selbst Schuld, Chrisibär!

Mein persönliches Unwort aber, das mich fast zum Davonspringen bringt und das ich von ganzem Herzen verabscheue, ist Abschied. Wie das schon tönt! Geschiedener, hau ab! Scheiden, abfahren - das ist derart negativ und traurig. Das ist nicht einfach ein bitzeli Tschüss sagen am Bahnhofsperron, Tage zählen, ein kurzer Unterbruch des Zusammenseins. Echter Abschied ist kohlrabenschwarz und meist eine Tragödie! Bei diesem Wort kommt mir in den Sinn, wie ich weinend mit dem Halsband in der Hand aus der Tierklinik flüchtete. Dann das Sackgassengefühl beim Tod meiner Eltern. Und jetzt die Worte eines Freundes, der gerade zusieht, wie seine erwachsene Tochter mit Umzugsschachteln hantiert und die Räume des gemeinsamen Erlebens verlässt. Obwohl, man sollte ja freudig herumhüpfen, wenn ein Kind so gut zurechtgewachsen ist, dass es stolz und selbstsicher mit seinen Habseligkeiten aus dem Haus spazieren kann. Es ist ja bereit und die Abnabelung natürlich. Das ist die praktische Verstandesebene, aber dann gibts halt auch die emotionelle.

Und so kommen einem wieder die blutten Kinderfüessli in den Sinn, wie sie aus dem Bébécabriolet herauslugen, und man schneuzt sich die Nase beim Gedanken daran, wie man das Kleine damals hinten an den Latzhosen hochheben und zum Glucksen bringen konnte. Und es roch so gut, als es noch ein Baby war. Wie junge Säuli, kein Scherz! Riechen Sie mal an jungen Säuli! Dann all die Stunden, die man gemeinsam vor dem Einschlafen erlebt hat, sei es mit einer Gutenachtgeschichte oder einfach nur Händchen haltend. Und am Morgentisch, wo wir mehr oder minder wach dem Alltag entgegentraten, bevor die Schule rief. Ja, es tut weh, wenn nichts mehr da ist, wo es hingehört, und nichts mehr ist, wie es mal war.

Meine liebe Leserschaft, die meisten von Ihnen kennen wohl dieses Gefühl: Wir lassen unsere Kinder in diese konfuse Welt hinaus und wissen, dass sie eigentlich bereit sind dafür, es auch wollen und trotzdem zweifeln. Wir möchten ihnen all die schmerzhaften Erfahrungen, die ein Leben so mit sich bringt, ersparen. All die Enttäuschungen und zerplatzten Träume. Büne Huber hat das wunderbar besungen im Song «Da für Di»: «I wünsch dr aues Glück vor Wäut une guete Ängu, wo ging zuedr luegt, wodi behüetet und beschützt, wüu hinger auem Wunderschöne, da wartet mängisch scho dr Schmärz... We du rüefsch u di niemer ghört... i bi immer da für di.» Ja, was können wir auch anderes als da zu sein, wenn sie uns brauchen?

Auch mein Austritt aus Krokus anno 1983 tat mehr weh als ein blauer Mosen am Schienbein. Es waren harte, graue, sinnlose Jahre, in denen ich meines Babys entrissen wurde und in ein tiefes Loch fiel. Über Jahre war die Band meine Familie, der Tourbus meine Wohnung, die Bühne meine Stammbeiz und die Bassgitarre mein Lieblingsspielzeug. Dann der abrupte Abschied. Erst später erkannte ich den grösseren Sinn dahinter. Dieser Abschied war eine Chance des Wachstums und der Weiterentwicklung für mich. Er eröffnete mir ganz neue Wirkungsfelder. Und heute musizieren wir schon seit acht Jahren wieder gereift, friedlich und freudig zusammen.

Trotzdem: Abschied ist wirklich ein gruseliges Wort. Seien Sie froh, wenn Sie keinen Grund haben, es in den Mund zu nehmen. Das Gegenteil davon müsste ergo in meinem Mund zergehen wie ein Nidletäfeli. Wie heisst es? Anvereinigung? Hä? Es wohlet mir nicht bei dieser verbalen Gegensatzfindung. Lieber schaffe ich mir ein persönliches, heiliges elftes Gebot, das ich mir möglicherweise noch auf die Innenseite der WC-Tür schreibe: DU SOLLST ZUSAMMENFÜGEN, NICHT TRENNEN!

Sehen Sie, diese Kolumne ist wirklich mehr als ein Job - sie ist echte Lebenshilfe für mich! Lachen Sie mich ruhig aus. Dann sind wir schon zwei. Das vereint uns.

Von Chris von Rohr am 16. Januar 2017 - 09:58 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 14:30 Uhr