Es ist gut 30 Jahre her. Als Verwaltungsrat der Gasverbund Mittelland AG machte ich die «Studienreise» nach Kanada und den USA nicht mit. Weil sie mit unserem Erdgasgeschäft nicht die Bohne zu tun hatte. Es war einfach eine Kuoni-Ferienreise. Man macht sich in einem solchen Gremium als Spielverderber nicht beliebt. Als ich noch verlangte, das eingesparte Geld einem Hilfswerk zu überweisen, war der Zapfen erst recht ab. Nach einem halben Jahr erkundigte ich mich, ob die 9000 Franken eingegangen seien. Schon lange, hörte ich. «Zumindest hätten Sie mir dafür danken dürfen», bellte ich verärgert ins Telefon. Da verzichtete ich auf einen schönen Ausflug und musste noch nachfragen, ob die Spende einbezahlt worden war. Das machte mich echt sauer.
Eine andere Erfahrung ist der Missbrauch. Es sind Egoisten, die schamlos sind, wenn es um ihren Vorteil geht. Das fängt beim Anstehen an. Einer drängelt meistens nach vorne. Das geht mit dem Handy im Zug mit maximaler Lautstärke weiter. Als ob einen das oft banale Geschwätz interessieren müsste. Oder Gutsituierte mogeln bei den Steuern, obschon sie es nicht nötig hätten. Sie «optimieren» Steuern, sagt man diplomatisch.
Der Missbrauch macht auch bei Sozialleistungen nicht halt, wie der «SonntagsBlick» vom 14. September aufdeckte. Eine Flüchtlingsfamilie aus Eritrea lebt seit fast drei Jahren im kleinen Dorf Hagenbuch mit etwa 1000 Einwohnern. Das Gemeinbudget ist mit zwei Millionen Franken Einnahmen bescheiden dotiert. Umso schwerer fallen die 60 000 Franken für diese Familie ins Gewicht. Nicht für ein Jahr, sondern pro Monat. Die 720 000 Franken fressen einen Drittel des Gemeindehaushalts auf. Wie ist das überhaupt möglich?
Hagenbuch legt einen Skandal offen, den die Politik zu verantworten hat
Vier der sieben Kinder sind in einem Heim untergebracht worden. Pro Platz kostet das monatlich je 9000 Franken. Für die andere Hälfte der Familie werden 20 000 Franken verrechnet. Eine Privatfirma stellt das Personal für diverse Hilfsdienste. Die Mutter sei mit den drei Kindern überfordert und komme auch sonst nicht zurecht. Sie brauche Hilfe beim Kochen, Putzen, Einkaufen. Dafür verlangt dieser private Sozialdienst einen Stundenlohn von 135 Franken. Der Firmenchef dazu: «Wir sind jeden Franken wert.»
Die kleine Gemeinde Hagenbuch ist nur noch Zahlstelle. Das zuständige Amt des Kantons Zürich nennt sich Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Früher war das die Vormundschaft. Diese KESB hat den Fall übernommen und stellt der Gemeinde Rechnung. Diese beklagt die mangelnde Transparenz über die Kosten. Aus Gründen des Personenschutzes erfährt sie keine Details. Sie hat zu zahlen. Punkt.
720 000 Franken im Jahr sind für eine zugegebenermassen grosse Familie unter keinem Titel zu rechtfertigen. Es sind genau solche Einzelfälle, die Gift sind für die Asylpolitik. Die es schon schwer genug hat. Weil es dafür faktisch keine Lösung gibt. Bund, Kantone, Gemeinden können sich bemühen, sie möglichst gut zu bewirtschaften. Aber Asylpolitik ist nie abgeschlossen, ist nie ein für alle Mal fertig. Weil in dieser gewalttätigen Welt Flüchtlingsströme wohl eher zuund nicht abnehmen werden.
Hagenbuch legt einen Skandal offen, den die Politik zu verantworten hat. Im Speziellen jene bürgerlichen Parteien, die den schlanken Staat mit Steuerabbau für die da oben zum Programm gemacht und durchgesetzt haben. Nun fehlt auch den Sozialdiensten das nötige Personal. Die öffentliche Hand vergibt Aufträge an private Firmen. So hat sich eine Sozialindustrie entwickelt. «Seit Jahren gibt es einen massiven Ausbau dieser Angebote», beklagt Odilo Noti von der Caritas. «Gewinnorientierte Unternehmen verwalten nur die Armut, um möglichst viel zu verdienen.»
Sozial ist das nicht mehr, was der Gemeinde Hagenbuch zugemutet wird. Dass Bürger aufbegehren und den Gemeinderat auffordern: «Zahlt einfach die Rechnung nicht mehr», ist absolut verständlich. Private Firmen arbeiten nicht zum Fürsorgetarif, sondern wollen Geld verdienen. Sozialpolitik ist genau deshalb eine öffentliche Aufgabe. Private Geldmacherei wie in Hagenbuch müsse aufhören, schreibt Christine Maier als Chefredaktorin im «SonntagsBlick». «Sonst geht der Wahnsinn weiter.»