Das Auge isst bekanntlich mit. Deswegen achten die Menschen beim Kauf und Verzehr ihrer Lebensmittel auch penibel darauf, wie hübsch diese aussehen. Sobald die Tomate schrumpelig oder das Joghurt gemäss Datum abgelaufen ist, landet das Essen im Abfall. Es gibt aber eine Bewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, diese «Restposten» zu verwerten. Mülltaucher heissen diese Menschen, die in Nordamerika und Europa regelmässig auf Shoppingtouren der besonderen Art gehen und weggeworfene Ware von Supermärkten einsammeln. Das «Containern» praktizieren sie meist nicht wegen finanzieller Sorgen, sondern vielmehr, um ein Zeichen gegen die Lebensmittelverschwendung zu setzen. Schliesslich wäre das Weggeschmissene trotz äusseren Makel meist noch geniessbar.
Gegner dieser «Schönheitswettbewerbe», die sich nicht zu schade dafür sind, Abfälle nach Brauchbarem zu durchforsten, gibt es hierzulande viele. Die meisten von ihnen wollen aber anonym bleiben, auch wenn ihre Aktionen an sich nicht illegal sind. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel, Markus Melzl, erklärte vergangenes Jahr im «Greenpeace Magazin» die Rechtslage: «Wenn jemand Lebensmittel in einen Müllcontainer schmeisst, die ausschliesslich der Vernichtung zugeführt werden sollen, dann kann jedermann darüber verfügen.» Dies gilt natürlich nur, so lange man nicht über einen Zaun steigen oder ein Schloss aufbrechen muss, um an die Ware zu kommen. Das wäre dann Hausfriedensbruch.
Eine, die sich mit dem Thema auskennt, ist die 32-jährige Zürcherin Lauren Wildbolz. Die vegane Köchin hat im Sommer zwei Wochen lang bis zu 50 Gäste zu Mittagszeiten mit Container-Produkten gratis bekocht. Ihr Gourmetessen wurde im Rahmen ihres Projekts «Good Food for you for free» serviert. Die Lebensmittel fischte sie eigenhändig aus den Tonnen heraus, oder aber sie bekam sie nach Ladenschluss von diversen Detailhändlern ausgehändigt.
Sich mit dem «Containern» einen vollen Kühlschrank zu sichern, ist das eine. Um gegen Verschwendung zu kämpfen, sei diese Methode aber längerfristig bestimmt nicht geeignet. «Es ist ein Aktivismus und keine Lösung, die das Problem bei der Wurzel packt», meint Lauren Wildbolz im Interview mit SI online. Und fügt an: «Ich möchte bei meinen zukünftigen Projekten nicht mehr auf Container-Ware zurückgreifen und habe es zu Beginn gemacht, um auf die Essensberge aufmerksam zu machen.»
Um gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen, muss man nicht unbedingt im Müll wühlen. Im Juni dieses Jahres lancierte der Bund einen Wettbewerb, bei dem praxisorientierte Ideen zur Bekämpfung von Nachernteverlust und Verschwendung eingereicht werden konnten. Dabei sollten junge Leute zum Handeln animiert werden: «Da die Teilnehmer nicht älter als 35 und Studenten sein müssen, ist auch das Ziel des Wettbewerbs, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Die Jungen sollen sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und Lösungen für das Problem zu erarbeiten», erklärt der Verantwortliche João Almeida.
«Our Common Food» heisst das Projekt, das von der Informations- und Dialogplattform Foodwaste.ch unterstützt wird. Mittlerweile stehen acht Finalisten fest, die unter anderem mit folgenden Ideen überzeugen konnten:
- Einfache Kalkulationstabellen für Grossfirmen, mithilfe deren richtige Warenmengen berechnet werden können.
- Eine App namens «Cloud Kitchen», die es dem Benutzer erlaubt, den Inhalt seines Kühlschranks immer präsent zu haben.
- Eine «Anti-Aging»-Kampagne, die Tipps und Tricks rund um das richtige Konservieren von Früchten und Gemüsen in Supermärkten aufzeigt.
- Ein Velotransport-Unternehmen, das übriggebliebenes, frisches Essen aus Restaurants und Take-Aways einsammelt, um damit Kunden innerhalb der gleichen Stadt zu beliefern.
- Diverse Strategien, um die Popularität von erneuerbaren Energien, wie Wasserkraft oder solare Strahlung in den Entwicklungsländern anzukurbeln.
Am 15. Oktober werden die Sieger an der ETH Zürich gekürt, die mit einem Startkapital von bis zu 10'000 Franken ihre Theorie in Praxis umsetzen können. Wer nicht gerade an einem wissenschaftlichen Plan tüfteln mag, kann beim nächsten Griff in den Kühlschrank auch einfach nur mehr seiner Nase und den Geschmacksnerven, anstatt den Augen vertrauen.