Es läuft so einiges schief im internationalen Modezirkus. Kinder werden ausgebeutet, freizügig inszeniert oder sexuell belästigt. Sie arbeiten nachts, vernachlässigen die Schule und ihre Gesundheit. Damit mit solchen Problemen endlich Schluss ist, bläst der Bundesstaat New York zum Marsch. Am vergangenen Montag hat Gouverneur Andrew Cuomo ein Gesetz unterzeichnet, das in 30 Tagen in Kraft tritt. Es soll minderjährigen Models mehr Rechte einräumen. «Wir haben die zügellose Ausbeutung und den sexuellen Missbrauch von Kindermodels beendet, indem wir ihnen entscheidenden Schutz gegeben haben», sagte die Senatorin Diane Savino am Dienstag in einer Pressekonferenz.
Ein entscheidender Schritt in der Geschichte - und ihrer Karriere, wie Coco Rocha findet. «Es gibt nur wenige Ereignisse, die als Meilensteine in meiner Karriere bleibenden Wert haben werden - dieses ist eines davon», schreibt sie unter ein Instagram-Foto, das sie auf der Pressekonferenz zur Verkündung des Gesetzes zeigt. Das 25-jährige Model setzt sich seit Jahren für eine strengere Reglementierung in ihrer Branche ein. «Ich bin so aufgeregt, dass wir endlich einen grossen Schritt in die richtige Richtung machen. Und ich bin überglücklich, dass ich ein Teil dieses wichtigen Momentes bin, der die Zukunft unserer Branche zum Besseren verändern wird.»
Wir sagen nicht, dass man mit Mädchen zwischen 14 und 18 nicht arbeiten soll
Coco Rocha muss es wissen. Im Alter von 15 Jahren steigt sie ins Modelbusiness ein und bekommt tagtäglich den Druck zu spüren. Als Mitglied der Zeugen Jehovas lehnt sie es ab, Fotos mit Waffen, Zigaretten oder religiösen Motiven zu machen. Auch Nacktfotos oder allzu leicht bekleidetete Shootings sind für sie tabu. Etwas, das in ihrer Branche nur schwer akzeptiert wird. Um andere Mädchen genau vor diesen Erfahrungen zu schützen wird sie aktiv. Gemeinsam mit der Model Alliance kämpft sie für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und fordert entsprechende Neuerungen. «Wir sagen nicht, dass man mit Mädchen zwischen 14 und 18 nicht arbeiten soll. Wir sagen nur: Wenn man es tut, gibt es erstens Gesetze und zweitens Konsequenzen, wenn diese nicht eingehalten werden.» Denn erst, wenn das Handeln Konsequenzen habe, würden die Leute zuhören und vor allem nachdenken.
RUNDUM-BETREUUNG, PRIVATLEHRER & TREUHANDKONTO
Um dem ganzen Stress mit den kleinen Mädchen zu umgehen, könnte im US-Modezirkus also zukünftig ein Umdenken stattfinden. Denn was das Gesetz möchte, ist nicht das, was den Designern so vorschwebt. Models unter 18 Jahren müssen unter der Woche vor Mitternacht Feierabend haben. An den Wochenenden darf es jeweils nicht viel länger gehen. Bei Models unter 16 Jahren muss gar eine Begleitperson vor Ort sowie eine Krankenschwester in Reichweite sein. Falls sie drei oder mehr Tage in der Schule fehlen, muss ausserdem ein Privatlehrer den Schülern den verpassten Schulstoff einbläuen. Verstösse gegen die neuen Regelungen würden mit Geldbussen bestraft. Ausserdem - und das ist ebenfalls zum Wohle des Kindes - muss 15 Prozent des Lohnes auf ein Treuhandkonto fliessen.
Die Zeitschrift «Vogue» reagierte bereits mit Restriktion, die besonders junge Mädchen schützen sollen: Keine Fotostrecken, in denen unter 16-Jährige in die Rolle von Erwachsenen schlüpfen müssen, nicht mehr als zehn Stunden Arbeit pro Tag und sexy Shootings dürfen nur mit eindeutiger Zustimmung von Seiten der Models erfolgen. Das würde für die Karrieren der Mädchen hilfreich sein, wie Coco Rocha findet. «Models, die 18, 19 oder älter und damit angeblich ‹zu alt› sind, könnten dank dieser Gesetze länger Aufträge bekommen.» Ausserdem kümmere man sich mehr um die jüngeren Mädchen und bereite sie so auf ihre späteren Karrieren vor.
In der Schweiz hingegen sei es überflüssig, über solche Regelungen zu diskutieren. Laut Option-Chefin Ursula Knecht sei bei ganz jungen Mädchen sowieso immer ein Erziehungsberechtigter bei Aufträgen mit dabei. Ausserdem habe man so gut wie keine Shows, ausser vielleicht der Fashion Days, wo die ein oder andere 15- oder 16-Jährige läuft. «Dafür müssen sich die Mädchen eine Bewilligung von der Schule einholen und eventuell Joker-Tage beanspruchen.» Und - so die Inhaberin der Zürcher Modelagentur - Shootings würden sowieso maximal acht Stunden dauern. Wieviele Minderjährige Models sie bei ihrer Agentur unter Vertrag hat? Lediglich «zwischen zehn und 15 Girls.»