Funda Yilmaz, 25, kennt kein anderes Leben als das in der Schweiz. Sie hat in einem Ingenieurbüro in Aarau einen guten Job als Hochbauzeichnerin und möchte jetzt noch die Berufsmatur machen. Sie treibt Fitness, geht gern ins Kino, den Sommer geniesst sie an der Aare, und im Winter fährt sie nach Engelberg zum Snowboarden.
Und sie hat seit zwei Jahren einen Freund, mit dem sie durchs Leben gehen und Kinder haben will: «Nächstes Jahr am 6. Juni heiraten wir!»
Aber seit dem Frühling ist alles anders im Leben von Funda Yilmaz. Medien berichten prominent über sie, die «Aargauer Zeitung» nennt sie «das Schweizermacher-Opfer». Im Nu wird sie zur bekanntesten Türkin der Schweiz, wildfremde Menschen sprechen sie an. Wie eine ältere Dame in Aarau, die ihr gratuliert zu ihrem Mut: «Geben Sie nicht auf, junge Frau. Sie sind für mich eine richtige Schweizerin.»
Nicht integriert?
Nun alles schön der Reihe nach. Der Entscheid fiel am 20. Juni. Da beschloss der Einwohnerrat des Aarauer Vorortes Buchs, die junge Frau nicht einzubürgern – mit 12:20 Stimmen, bei 5 Enthaltungen. Die Einbürgerungskommission, die Funda Yilmaz zweimal befragt hatte, kam zum Schluss, dass sie «die Voraussetzung der erfolgreichen Integration nicht erfüllt».
Obwohl sie hier geboren ist. Obwohl sie Schweizerdeutsch redet wie eine Aargauerin. Obwohl sie hier zur Schule ging. Obwohl sie hier erfolgreich eine 4-jährige Lehre als Tiefbauzeichnerin gemacht hat. Obwohl sie in der Mädchenriege von Buchs geturnt und im FC Rohr Fussball gespielt hat.
Obwohl sie einen Freund hat, dessen Vater Italiener ist, aber dessen Grossmutter aus dem Emmental stammt und der einzig und allein einen Schweizer Pass besitzt. Und es nützte Funda Yilmaz auch nichts, dass sie den für die Einbürgerung vorgeschriebenen schriftlichen Staatskundetest zu 100 Prozent bestand.
Funda Yilmaz lässt sich nicht entmutigen
Ebenso wenig brachte es ihr etwas, dass sie nach dem abschlägigen Entscheid der Kommission alle Einwohnerräte persönlich anschrieb und detailliert zu den Vorwürfen Stellung nahm. Zum Beispiel: «Ich wurde gefragt, ob meine Eltern Mühe hatten mit meinem Freund, der nicht Türke ist. Meine Familie ist offen, und ich bin zudem keine praktizierende Muslima. Ich war in meinem Leben noch nie in einer Moschee, aber mehrmals in einer Kirche.»
Sie zeigt alle Protokolle und den gesamten Briefwechsel mit den Gemeindebehörden (Die Original-Dokumente können Sie am Ende dieses Artikels lesen). Sie versteht die Ablehnung immer noch nicht, aber das kann sie nicht entmutigen. «Nein, ich habe noch nie ans Aufgeben gedacht. Vielleicht war ich vorher nicht so politisch. Aber jetzt habe ich die politische Seite in mir definitiv entdeckt. Ich will mitbestimmen. Hier ist meine Heimat.»
Rekurs beim Regierungsrat
Engagiert widersprach sie den Anwürfen der Kommission, sie interessiere sich nicht fürs Dorfleben: «Sie fragten bei der zweiten Anhörung nach dem Einkaufsverhalten. Ich nannte Aldi und Migros – und schon warfen sie mir vor, dass ich den Dorfbeck oder die Dorfmetzg nicht kenne.» Dabei sei sie mit dem Sohn des Metzgers in der gleichen Klasse gewesen und holte jeden Tag beim Bäcker ein Pausengipfeli.
Deshalb legte sie beim Regierungsrat Rekurs ein. «Ich bin hier geboren.» Ihr Vater kam als 18-Jähriger in die Schweiz, arbeitete erst im Tessin bei einem Bauern im Schweinestall, 1987 zog er in den Aargau. «Er war so gut integriert, dass ihn Niederlenz von sich aus einbürgern wollte. Leider lehnte er ab», sagt Yilmaz, «weil er dachte, dass er bald wieder in die Türkei zurückkehre.»
Unterschriften für die Einbürgerungswillige
Es kam anders. Ihr Vater blieb, kaufte vor 18 Jahren in Buchs ein Haus. Er arbeitet heute als Chauffeur, die Mutter als Putzfrau. Ihr Freund Nico macht eine Lehre als Strassenbauer und ist mächtig stolz auf Funda: «Über 100 Solidaritäts-Unterschriften hat sie erhalten. Sogar mein Nachbar, ein SVPler, hat unterschrieben.»
«Hoffentlich gibts ein Umdenken», sagt Yilmaz beim Spaziergang durch Buchs. «Es ist doch nicht wichtig für eine Einbürgerung, wenn man wie ich nicht sofort weiss, wo man das Frittieröl entsorgt. Ich habe gesagt, nicht in den Abfluss. Die Recyclingstelle würde ich googeln. Das machen doch heute alle jungen Schweizer so!» Funda Yilmaz ist im Herzen längst Schweizerin.
Heute Mittwoch Abend entscheidet der Einwohnerrat von Buchs AG zum zweiten Mal über die Einbürgerung: Um 19 Uhr beginnt die Sitzung im Gemeindesaal - Funda Yilmaz ist Traktandum Nummer 1.7. Im Vorfeld der Sitzung hat sich der Gemeinderat von Buchs AG einstimmig für die Einbürgerung ausgesprochen.
Lesen Sie hier das Protokoll des Einbürgerungsgesprächs: protokoll_funda_yilmaz.pdf
Die Aktennotiz des zweiten Gesprächs mit der Behörde: aktennotiz_funda_yilmaz.pdf
Das Schreiben, in dem Funda Yilmaz die negative Empfehlung mitgeteilt wird: ablehnungsschreiben_funda_yilmaz-1.pdf
Funda Yilmaz' Brief an die Einbürgerungskommission: brief_an_einburgerungskommission_funda_yilmaz.pdf
Funda Yilmaz' Brief an die Einwohnerräte: brief_an_einwohnerrate_funda_yilmaz.pdf