Alte Schule! Galant hält Bill Neuweiler, 52, seiner Gattin die Türe des Plymouth Business Coupé auf. Barbara Neuweiler, 49, setzt sich ans Lenkrad, das Steuern der Limousine Jahrgang 1938 ist ihr Hoheitsgebiet. Der Netzhandschuh streicht über die Stockschaltung, dann tätschelt sie ihrem Mann aufs Knie. «Bill ist ein Gentleman! Das war damals gang und gäbe.»
Zeitreise. Die Spritzfahrt ist zu Ende, Barbara Neuweiler parkiert den Oldtimer vor der Liegenschaft der beiden in Leimbach AG. «Hier kommen wir in das Leben zurück, in dem wir uns wohlfühlen.»
«Wenn wir heimkommen, ziehen wir unsere schönen Sachen an»
Vor sechs Jahren haben die Neuweilers das Haus Baujahr 1936 im Originalzustand gekauft, «für uns der absolute Traum», dann nach ihrem Gusto eingerichtet – im Stil der 30er- und 40er-Jahre. Diese Epoche lebt das kinderlose Paar in allen Facetten, «das ist unsere Passion», sagt Barbara. Wenn Bill mit seinem VW Golf Jahrgang 1984 zur Arbeit im Service-Center eines technischen Betriebs fährt, trägt er eine moderne Geschäftshose und ein T-Shirt. Seine Frau arbeitet als Lager-Chefin in einem Reitsportgeschäft, in Jeans und T-Shirt.
«Doch wenn wir heimkommen, ziehen wir unsere schönen Sachen an.» Wie jetzt. Barbara hat sich umgezogen, trägt ein leichtes Sommerkleid mit Schrägschnitt, dem damaligen Schönheitsideal entsprechend: schlank, wenig Oberweite. Bill hat eine Gabardinehose und Ausgehschuhe der U.S. Army an – alles original aus den 30ern. «Hereinspaziert in die gute alte Stube!», bittet der Hausherr. Er legt eine Schallplatte auf, es knistert. Count Basie haut «One O’Clock Jump» in die Tasten, Barbaras Finger schnippen. «Die 30er swingen!»
«Ein Museum sind wir nicht! Wir leben hier.»
Das Wohnzimmer atmet den Geist der damaligen Zeit. Barbara Neuweiler hat auf einem Art-déco-Sofa Platz genommen, blättert im Mode-Journal «Die Dame», er studiert eine alte «Automobil Revue». «So verbringen wir unsere Abende.» Möbel und Einrichtungsgegenstände stammen fast ausnahmslos aus der Zeit vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Das Parkett ist aus Eiche.
Regelmässig klappern die Neuweilers Brockenhäuser und Flohmärkte in ganz Europa ab auf der Jagd nach einer Trouvaille. Manchmal lässt sich etwas ergattern, wenn ein Haushalt aufgelöst wird. «Uns ist wichtig, dass es originale Stücke aus unserer Zeit sind», sagt Barbara. «Unser Lifestyle ist keine Fasnacht.» Ihr Gemahl betont: «Ein Museum sind wird nicht! Wir leben hier.» Und so liegen die Füsse dann auch schon mal auf dem Stubentischchen. «Es ist ein innerer Drang, so leben zu wollen.» Barbara ergänzt: «So wohnten damals gutbürgerliche Schweizer.»
Inklusive Porträt von General Henri Guisan
Ewiggestrige? «Nein!» Damals leben möchte das Paar nicht. «Es war nicht einfach früher. Wir können uns die schönen Dinge herauspflücken.» Hinter einer Schranktür versteckt sich der Fernsehapparat, modern ist auch die Waschmaschine, in der Küche stehen Tupperware-Gefässe. Wegen seines Jobs hat Bill ein altes Samsung-Handy, Barbara kommt ohne Mobiltelefon durchs Leben. Seinen Laptop braucht Bill, um Mails zu schreiben – oder um bei Ebay nach alten Möbeln oder Kleidern zu stöbern. Facebook? «Nein. Da sind wir etwas altmodisch.»
Anno dazumal. An der Wand über dem Esstisch prangt ein Porträt von General Henri Guisan, dem Oberbefehlshaber der Schweizer Armee während des Zweiten Weltkriegs. «Er war eine wichtige Persönlichkeit und im Volk beliebt.» Damals sei es noch nicht verpönt gewesen, auf seine Heimat stolz zu sein. Barbara engagiert sich im Schweizer Heimatschutz. «Im Gegensatz zu heute hatte man noch Respekt vor dem Eigentum anderer. Und es wurden Sachen produziert, die Bestand haben. Die Leute trugen Sorge dazu.»
Seit 18 Jahren den 30ern verschrieben
Weisch no? Die Historie und das Leben der damaligen Zeit kennen die Neuweilers aus dem Effeff. Schon als Meitli verschlingt Barbara Bücher über die neuere Schweizer Geschichte. Ihre Mutter hatte eine grosse Bibliothek mit Literatur über den Zweiten Weltkrieg. Als Teenie gehört Barbara der Waver-Szene an, ist Fan von Depeche Mode, fasziniert vom Stil der Fifties. Doch immer mehr ziehen sie Design, Mode und Musik der 30er- und 40er-Jahre an, «bis ich komplett in dieser Zeit lebte». 1999 lernt sie Bill kennen. Auch er erliegt dem Charme der älteren Zeit. Seit 18 Jahren haben sich die beiden den 30ern verschrieben. In der Schweiz gibt es ungefähr 20 Menschen, die diesen Lebensstil pflegen.
Bill legt eine neue Platte auf. Duke Ellington. «Let’s dance!», ruft er. Seit einem halben Jahr lernen die beiden den Tanzstil Balboa, nun gleiten sie elegant über das Parkett. Bill lacht. «Eigentlich ist unser Leben ein einziger Tick.»
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