Eigentlich passt so ein Schloss aus früheren Zeiten gar nicht nach Oberhofen. Hier scheint wenig altertümlich, eingestaubt oder verstockt zu sein. Während andere Ortschaften gegen die Abwanderung kämpfen, wächst Oberhofen weiter und weiter. Die Primarschule hält sich, die Lebensmittelgeschäfte und das Kleingewerbe ebenso. Heute leben 2416 Menschen in Oberhofen, in den 40er-Jahren waren es gerade mal die Hälfte. Die Zeiten ändern sich.
Der Regattaclub Oberhofen platzt aus allen Nähten. Immer mehr Kinder wollen das Segeln lernen. Unter ihnen auch Lynn, 14, und Ikke Huber, 11. Die Brüder sind seit vier Jahren im Klub, zusammen mit anderen Jugendlichen aus der Region trainieren sie wöchentlich auf dem Wasser. Es ist nur naheliegend, dass ihnen an Oberhofen besonders etwas gefällt: die Nähe zum Thunersee.
Die Bootsbauer-Brüder Rico, 36, und Luca Hächler, 34, sind in Oberhofen aufgewachsen und geblieben. Für sie ist es nicht nur das Dorf, was Oberhofen ausmacht. Sondern das ganze Drumherum. Sie sind schnell in Thun, wenn sie in die Stadt wollen, und schnell in den Bergen, wenn der Neuschnee ruft. Sie haben miterlebt, wie das Dorf wächst. «Die Zuzüger nehmen wohl eher weniger am Dorf- und Vereinsleben teil», sagt Rico. Er schmunzelt. Sein Bruder und er sind beide im Unihockeyverein, zählen da aber nicht zu den aktivsten Mitgliedern.
Im Café und Bistro Pier 17 an der Schifflände geniessen Einheimische wie Touristen den Blick auf den Niesen und die an- und ablegenden Schiffe. Vor ihnen stehen hausgemachte Eistees mit Kräutern aus dem Bistro eigenen Garten und Mittagsmenüs, die ohne Konservierungsmittel und künstliche Zusatzstoffe auskommen. Die Nachhaltigkeit der Produkte steht im Vordergrund. Nachhaltig ist auch die Lokalität des Bistros; früher war im kleinen Holzgebäude das Tickethäuschen der Schifffahrt untergebracht. Die Zeiten ändern sich.
Ein Schloss als Wahrzeichen
Alt und Neu ist im Dorf nahe beieinander. Nur wenige Schritte vom «Pier 17» steht das Schloss Oberhofen. Aushängeschild des Dorfes und Juwel am Thunersee. Eine Verbindung zwischen früher und heute. Seit sieben Jahren ist Christina Fankhauser, 56, die Chefin, viele Einheimische nennen sie «Schlossgeist», für die Männer vom Jodlerklub ist sie «der Hüttenwart». Fankhauser, die ursprünglich aus Burgdorf stammt, zog damals für die neue Stelle an den Thunersee und fühlte sich schnell zu Hause. «Ich wurde rasch aufgenommen.» Sie wollte wieder mehr Leute in das Schloss locken, vor allem auch Oberhofner. «Viele, die hier leben, haben es vielleicht einmal besichtigt. Früher war es nicht üblich, mehrmals zu kommen. Der Bezug war einfach nicht da.»
Heute machen die Oberhofner viel für «ihr» Schloss, engagieren sich etwa im Schlossverein. Die abendliche Schliessung des Schlossparkes wird von Freiwilligen vorgenommen, die meist Einheimische sind. Die Zeiten ändern sich.
Die Männer vom Jodlerklub Oberhofen. Sie verkörpern das Brauchtum im Dorf. Gegründet 1951, bestand der Verein schon, als es noch nicht so viele Oberhofner gab. Sein bekanntestes Mitglied war Adolf Stähli, der den Chor über Jahre musikalisch leitete und über 80 Lieder und Jodel komponierte.
Auch der aktuelle Präsident, Christoph Rohr, 58, ist mit dem Ort verbunden. Er ist hier aufgewachsen und liebt Oberhofen über alles: «Wenn ich weggehe, werde ich krank», sagt Rohr. Die Veränderung im Dorf hat auch er wahrgenommen. «Als ich jung war, gab es vieles noch nicht. Doch der harte Kern, der ist geblieben.» Dass sie mit dem Jodeln nicht (mehr) bei allen den Nerv der Zeit treffen, musste er sich schon vor Längerem eingestehen. Obwohl das Dorf wächst, ist es schwerer als früher, Nachwuchs zu finden. Aktuell zählt der Klub 22 Mitglieder, der jüngste Jodler hat Jahrgang 1984. Rohr sagt: «Wir sind offen für junge Leute.» Dörfer verändern sich – nicht nur am Thunersee.