Nein, verleidet ist Rachel Rinast, 26, der Popsong auch nach zigmal Anhören nicht. «Aber meine eigene Stimme zu hören, ist jedes Mal wieder gewöhnungsbedürftig», sagt sie. «United in Red» heisst das offizielle EM-Lied, das die Schweizer Fussballerinnen als Background-Chor mit Leadsängerin Rinast aufgenommen haben. Ende Juni erstmals am Radio gespielt, will das Stück fast nicht mehr zum Ohr raus, ist es dort einmal reingegangen.
Tritt die Schweiz heute Dienstag (18.00 Uhr) bei ihrem Startspiel an den Titelkämpfen in Holland gegen Österreich so stilsicher auf, wie sie den Ohrwurm intoniert, wird die EM zum Erfolg für sie. Das Erreichen des Viertelfinals gegen die Österreicherinnen, Island und Frankreich wäre ein solcher.
Von Köln und Leverkusen zum FC Basel
Herausragend ist die Stimme von Rachel Rinast. Sonst als Verteidigerin eher fürs Grobe zuständig, beweist sie eindrücklich ihre andere, ihre künstlerische Seite. «Ich bin ein Mensch mit vielen Interessen. Das war schon von klein auf so. Und meine Eltern haben mich in allem unterstützt und gefördert, was mich jemals begeistert hat.»
Rachels Vater ist Deutscher, die Mutter Schweizerin, ihre Kindheit und Jugend verbringt sie im norddeutschen Bad Segeberg. Schweizerdeutsch spricht sie bis heute kaum, obwohl sie Verwandte in der Ostschweiz hat und regelmässig bei der Oma im Appenzellischen zu Besuch ist. Vielleicht ändert sich das, wenn sie ab der kommenden Saison nach Köln und Leverkusen beim FC Basel unter Vertrag steht.
Das Singen hat Rachel Rinast nie aufgegeben
Als Schülerin lebt sie nebst ihrer sportlichen Seite auch die musikalische aus. Sie spielt Geige und singt im Schulchor. Als sie 19 ist und das Abitur im Sack hat, startet sie am nationalen Wettbewerb «Jugend musiziert» – und gewinnt. Damit hätte sie ein Stipendium für ein Gesangsstudium in Lübeck in der Tasche, doch sie verzichtet, «weil ich Angst hatte, dass ich nach einem Musikstudium mit leeren Händen dastehe».
So setzt sie auf ein Sport- und Philosophiestudium, ist inzwischen am Masterlehrgang für das Lehramt. Mit Geigespielen hört sie auf, als sie 16 ist, was sie heute «ein wenig bereut». Dafür hat sie sich kürzlich ein E-Piano angeschafft. Nur das Singen hat Rachel Rinast nie aufgegeben.
«Meine Stimme ist zwar etwas eingerostet. Aber ich singe oft und gerne, auch wenn es mir peinlich ist, es vor anderen Leuten zu tun. Da müssen die die Augen schliessen.» Sie kommt sogar zufällig in Kontakt mit dem deutschen Rapper Danga und unterstützt diesen bei Aufnahmen mit ihrer Stimme. «Singen als Beruf wäre ein Traum. Vielleicht erfülle ich mir den noch.»
Ein Ohrwurm ist geboren
Mass nehmen kann sie diesbezüglich, als das Team angefragt wird, ob es einen EM-Song einspielen will. Tenor der Spielerinnen: Ja, aber nur, wenn Rachel die Hauptstimme singt. Der Medienverantwortliche Matthias Röthlisberger, selbst Hobbymusiker, schreibt ein Lied, das von Ray – wie Rachel im Team gerufen wird – und ihrer Mitspielerin Cinzia Zehnder etwas «aufgepeppt» wird. Und als Hit-Musikproduzent Thomas Fessler «United in Red» im Studio unter seine Fittiche nimmt, ist der Ohrwurm geboren.
Macht das Stück die 14-fache Schweizer Fussball-Internationa le nun auch als Sängerin berühmt, ist das okay für sie, auch wenn «Popmusik nicht mein Favorit ist». Rinast mag am liebsten Hip-Hop und singt mit Vorliebe Soulstücke. «An Whitney Houstons Stimme führt nichts vorbei», sagt sie. Doch auch klassische Konzerte bringen sie zum Weinen oder Klezmermusik, die ihr als praktizierende Jüdin ebenfalls ans Herz gewachsen ist.
Vorerst aber gilt Multitalent Rachel Rinasts ganze Konzentration der EM. «Länger als bis dreissig Fussball zu spielen, kann ich mir kaum vorstellen. Deshalb gebe ich jetzt alles. Aber danach habe ich ja noch alle Zeit für etwas ganz Neues.» Man würde sich nicht wundern, wenn Rachel statt Fussballstadien bald einmal Konzerthallen füllt.