Zur Feier des Tages hat sie ihre geblümte Bluse angezogen. «Die ist aber schön», sagt Nichte Margrit, 77. «Ich trug sie schon als 16-Jährige», antwortet die Jubilarin und lacht. «Die Batzen dafür verdiente ich mit Kinderhüten.»
Lang, lang ist das her. Am 11. Januar 1908 wird Alice Schaufelberger geboren. In Reitnau AG, sechs Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. In die weite Welt, nach Aarau, gehts mit der Postkutsche. Nach der Lehre als Verkäuferin arbeitet sie viele Jahre im Reformhaus Müller in Zürich. Heute ist Alice Schaufelberger die älteste Person der Schweiz.
Die Rentnerin feiert im Alterszentrum
Gefeiert wird im Alterszentrum Adlergarten in Winterthur ZH. «Hier fühle ich mich daheim, ich bin in guten Händen.» Alice Schaufelberger sitzt im Rollstuhl. Eigene Kinder hatte sie nie. Umso mehr freut sie sich, dass ihre nächsten Angehörigen gekommen sind: die Nichten Vreni, 69, Olga, 73, Helene, 75, Käthi, 76, Margrit und Dorli, 82 – die Töchter von Gottfried, dem Bruder ihres verstorbenen Gatten Jakob.
Warum nimmst du mich nicht zu dir, lieber Herrgott?
Besuch von ihren Verwandten bekommt Alice jede Woche. «Ich bin die Einzige, die Alice sofort erkennt», sagt Vreni, «Käthi findet das nicht so lustig.» Alle lachen. Noch nie haben sie Alice unzufrieden oder böse gesehen. Auch wenn sie oft von Rückenweh geplagt ist, beim Aufstehen meist Hilfe braucht – weil ihr dann kurz schwindlig wird. «Doch Frau Schaufelberger jammert nie», erzählt Pflegefachfrau Catia Rosa. «Sie hat stets ein freundliches Wort, bedankt sich für alles.» Doch ab und zu kommt Alice zum Schluss: «Man sollte nicht so alt werden. Warum nimmst du mich nicht zu dir, lieber Herrgott?»
Leidenschaftliche Zeitungsleserin
Jeden Morgen ist die Jubilarin mit ihrem Rollator im Gang unterwegs, täglich liest sie Zeitung und in der Bibel, mit einer Lupe. Hat sie vergessen, welcher Tag es ist, wartet sie auf eine zweite Pflegerin, fragt auch diese – erst dann schaut sie das nächste Blatt im Abreisskalender mit Bibelsprüchen an. «Medikamente habe ich noch nie genommen.» Am liebsten isst Alice Braten mit Härdöpfelstock und Rüebli. Hie und da fragt sie nach einem Gläsli Roten.
Viel Schlaf und gesunde Ernährung
Dreimal pustet die Jubilarin – dann sind die elf Kerzli auf der Geburtstagstorte ausgeblasen. Die Nichten erzählen ihr, wie schnelllebig die Welt draussen ist. «Dann ist ja gut, dass ich so alt bin», sagt Alice und schmunzelt. «Ich wundere mich selber, dass ich so alt geworden bin.» Als Kind sei sie ganz klein und nicht sehr kräftig gewesen, «die Eltern hatten wenig Geld und Angst, mich nicht durchzubringen». Ihr Leben lang hat Alice «gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet», sich gesund ernährt, viel geschlafen – heutzutage geht sie um 17.30 Uhr ins Bett, steht um 8 Uhr auf. «Ich hatte ein gutes Leben. Doch bald bin ich ja so alt wie Moses.» Der biblische Prophet wurde 120 Jahre alt.