SI online: Thomas Spielmann, Simonetta Sommaruga und ihr Mann wollen mit getrennten Wohnungen die Ehe wiederbeleben. Funktioniert diese Methode?
Thomas Spielmann: Man muss immer die Geschichte eines Paares und die Dynamik anschauen. Ein Paar kann sich so neu kennenlernen. Bei anderen Paaren kann es aber auch der Anfang vom Ende sein.
Was erhofft man sich davon?
Wenn man sich sieht, muss man bewusst Qualität in die Beziehung bringen. Man lebt nicht mehr aneinander vorbei, der eine liest nicht in der einen Ecke und und der andere macht etwas in der anderen. Die Alltäglichen Sachen macht man in den unterschiedlichen Wohnungen, wenn man sich sieht, legt man Wert auf Qualität. Man erhofft sich, dass man sich wieder freut, den anderen zu sehen, und wieder Herzklopfen bekommt.
Wann sind getrennte Wohnungen sinnvoll?
Das macht man ja nicht einfach so. Oft hat sich das in der Realität schon eingeschlichen: Einer der Partner war ohnehin schon selten zu Hause, jetzt macht man es einfach noch offiziell und nimmt sich eine Wohnung. In einem zweiten Fall handelt es sich um einen Notfall. Man fängt an, die Beziehung zu zerstören, mit grossen und kleinen Streitereien. Man fängt an sich zu nerven. Dann ist eine räumliche Trennung eine Möglichkeit.
Wie hoch ist die Erfolgschance?
Etwa 50:50. Diese Erfahrung habe ich bei meinen Therapie-Paaren gemacht. Die Hälfte wächst zusammen, die andere trennt sich.
Wie wendet man eine Trennung ab?
Wenn man die Chance nutzen will, dann muss man ganz klare Abmachungen haben: Hat man noch einen Schlüssel für die Wohnung des anderen oder nicht? Sind Spontanbesuche möglich? Liegen Beziehungen ausserhalb der Ehe drin? So sind die Erfolgschancen grösser, denn man meidet Missverständnisse, die sich sonst im Alltag aufbauen. Und man muss sich auf ganz einfache Sachen konzentrieren: Schläft man besser oder schlechter, wenn man alleine schläft. Das ist unglaublich wesentlich.
Und wenn das Projekt scheitert?
Dann fällt eine Trennung leichter. In bestimmten Zeiten sieht man nur noch schwarz und weiss, im Alltag meist nur schwarz. Bei einer räumlichen Trennung sieht man differenzierter. Man erkennt, dass eine Beziehung keine verlorene Zeit war. Man ist dankbar für das, was man hatte, aber man erkennt auch, dass das Leben jetzt anders aussieht und man andere Prioritäten hat. Die Beziehung ist Teil der Persönlichkeit, Teil des Lebens. Und es geht auch nicht darum, wer Schuld ist.
Stimmt es, dass immer mehr Paare ihre Beziehung mit getrennten Wohnungen retten wollen?
Der Eindruck täuscht. Das hat es schon immer gegeben, es wurde einfach nicht an die grosse Glocke gehängt. Aber es handelt sich um ein schichtspezifisches Phänomen. Denn es ist auch eine finanzielle Frage. Die meisten Paare können sich das gar nicht leisten, deshalb empfehle ich es auch nicht. In der Oberschicht redet man nicht darüber. Aber wenn man offen kommuniziert - so wie im Fall von Simonetta Sommaruga - gibt es keine Gerüchte. Und so ist es klar, dass auch eine Bundesrätin nicht davor gefeit ist, die eigene Beziehung immer wieder mal neu zu definieren.