Den Knoten in ihrer Brust entdeckt Susanna Helg per Zufall an einem Abend im Juni 2008. «Ich kratzte mich unter der linken Brust. Sie fühlte sich anders an. Ich tastete weiter und spürte eine Verhärtung, wie eine Haselnuss unter meiner Haut.» Krebs - an diese Krankheit denkt die Aargauerin nicht eine Sekunde. Und doch wälzt sie sich in der Nacht im Bett, träumt von Ärzten, die ihre Brust untersuchen.
Wenige Tage später ist es nicht mehr bloss ein Traum. Susanna starrt zusammen mit ihrem Gynäkologen auf den dunklen Schatten im Ultraschallbild. «Das müssen wir genauer anschauen», sagt der Arzt und schickt die junge Frau zur Biopsie ins Spital. Den entscheidenden Anruf erhält Helg eine Woche später. «Sie sollten noch heute vorbeikommen», heisst es.
Die Diagnose «bösartiges Mammakarzinom - Brustkrebs» erschüttert die 31-Jährige wie ein Erdbeben. Sie zittert, weint, fühlt sich ohnmächtig. «Nicht zu wissen, was kommt, ist ein grausames Gefühl.» Während Susanna fassungslos auf ihrem Stuhl sitzt, löchert Freund Daniel den Arzt mit Fragen. «Muss sie eine Chemo machen, verliert sie ihre Brust, wird sie sterben?» Für Antworten ist es noch zu früh. Nur eines ist klar, der Tumor muss raus!
Nach der Operation die hoffnungsvolle Nachricht: Der Krebs hat nicht gestreut, eine brusterhaltende Therapie ist möglich. «Ich bewundere alle Frauen, die mit einer Amputation umgehen können - für mich wäre es ein Albtraum gewesen. Die Brüste gehören für mich zum Frausein», sagt Helg.
Narben hat der Krebs dennoch hinterlassen. Sichtbar ist ein drei Finger breiter, schmaler weisser Fleck unter dem Schlüsselbein. Dort, wo die Ärzte Helg die Infusionen legen, um nicht jedes Mal eine neue Vene anstechen zu müssen.
18 Wochen lang unterzieht sich Susanna Helg einer intensiven Chemotherapie. Sechs Infusionen mit je drei Wochen Pause. Darauf folgen fünfeinhalb Wochen Bestrahlung. Täglich. Pausen gibt es nur an den Wochenenden. Schon nach der ersten Chemo-Sitzung beginnen Susannas Haare auszufallen. Bald bleiben ganze Büschel in der Bürste hängen. Da hat die junge Frau genug. «Ich wollte nicht aussehen wie ein gerupftes Huhn!» Sie geht zum Perückenmacher, lässt sich den Kopf kahl rasieren. «Die Haare zu verlieren, war für mich neben dem ständigen Warten auf die Testergebnisse das Schlimmste.»
Die braune Perücke, mit der sie ein halbes Jahr lang ihre Glatze verdeckte, hat ihr Mann Daniel inzwischen entsorgt. Er will nicht mehr an den «Seich» erinnert werden. Der 34-Jährige möchte die Angst, die er um seine Frau hatte, vergessen. Die Bücher, die er zum Thema gelesen hat, nie mehr aufschlagen. «Susi war stark für uns alle», sagt er und fährt seiner Frau mit der Hand über das schulterlange Haar.
Während der Chemo versucht Helg, ein möglichst normales Leben zu führen. Sie arbeitet «mal besser, mal schlechter» zu 50 Prozent im Büro, zwingt sich aufs Velo. Die Medikamente machen sie müde, lassen das Gesicht anschwellen und schlagen auf den Magen. Der Appetit vergeht ihr aber nicht. «Ich bin Italienerin!», sagt sie und lacht. Ihre Mama kündigt den Job und hilft der Tochter im Haushalt. Wegen Susannas Diagnose lässt sich auch die Mutter testen - denn der Krebs, so zeigt sich, ist erblich bedingt. Die Mutter ist gesund. Helgs Zwillingsschwester verzichtet auf eine Untersuchung. «Sie will das Leben nehmen, wies kommt, ich kann das verstehen.» Genauso müsse jede Frau individuell entscheiden, ob sie sich einer Vorsorgeuntersuchung inklusive Mammografie unterziehen möchte oder nicht, sagt Helg. Mindestens einmal pro Jahr lässt die Aargauerin nun ihre Brüste screenen, «ein Psychostress, auf den ich am liebsten verzichten würde».
Heute gilt Susanna Helg medizinisch als geheilt - ihre Antihormon-Präparate, die neue Krebszellen verhindern sollen, hat sie abgesetzt. Sie wünscht sich Kinder, in ihrem Fünfeinhalb-Zimmer-Haus in Erlinsbach hat es genügend Platz. Ein halbes Jahr nach der Krebstherapie heiratet Susanna ihren Daniel - zivil und kirchlich, einmal mit Kurzhaarfrisur, einmal mit Hochsteck-Perücke. Ihre Krankheit habe die Beziehung nicht belastet, sagt Helg heute. «Ich zweifelte keinen Moment daran, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben.»
MAMMOGRAFIE KONTROVERS
Jedes Jahr sterben 1300 Frauen an Brustkrebs. Vier von fünf Patientinnen sind bei der Diagnose über 50 Jahre alt. Vorbeugen ist schwierig. Denn die wichtigsten Risikofaktoren (Gene, frühe erste Periode, späte erste Schwangerschaft) sind kaum beeinflussbar. Wird ein Tumor früh entdeckt, ist die Behandlung einfacher, und die Überlebenschancen sind höher. Das Swiss Medical Board kritisierte vergangene Woche systematische Brustkrebs-Screenings (Mammografien). Sie würden mehr Nachteile als Nutzen bringen. Das sorgte landesweit für Aufruhr. Nicht nur bei den Frauen. Das Bundesamt für Gesundheit hält dennoch an seinen Empfehlungen für die Untersuchungen fest - sie würden jährlich 250 Leben retten. Allerdings soll die Qualität der Programme verbessert werden.