Ciccio gibt Gaia das Fläschchen, sie schaut ihn an, als hätte sie in einen Zitronenschnitz gebissen. «Ma è buono, principessa», sagt Ciccio, 37. Gaia dreht das Köpfchen weg. «Lass uns mal den Paps wechseln», sagt Raphael, 36. Paps und Paps – die halbjährige Gaia lebt mit zwei Vätern in einer Altbauwohnung in Bern, zwischen Gemälden, Pflanzen und einer elektrischen Babyschaukel. Nur einer der beiden ist genetisch mit ihr verwandt: Ciccio, ein Informatiker mit Harry-Potter-Brille. Ausgetragen hat das Kind eine Leihmutter in den USA.
Damit durchsägen Raphael und Ciccio die Gitterstäbe der Konvention. Ist die Leihmutterschaft ein Angriff auf natürliche Barrieren? Oder, wie Raphael und Ciccio sagen, «die einzige Chance auf die Erfüllung unseres Kinderwunsches»? Fest steht: Der Weg über eine Leihmutter ist steinig. Oder überspitzt gesagt: ein Drama in fünf Akten.
Wer bestimmt, wer das darf?
Der Kinderwunsch. Ciccio schaut auf sein Handy, la Mamma. Immer mittwochs und samstags ruft sie an, fragt nach «Principessa». Ciccio ist Italiener, seine Mutter hat geweint, als er ausgezogen ist. «Die Familie ist mir das Wichtigste», sagt er, «ich wollte schon früh Kinder, das hat nichts mit schwul oder nicht schwul zu tun. Und überhaupt: Wer bestimmt, wer was darf?»
Raphael lächelt – er kennt seinen Ciccio: den Grossdenker, den Bauchmenschen. 2002 lernt sich das Paar kennen. Nach sieben Jahren macht Raphael Ciccio einen Heiratsantrag (auf dem Eiffelturm – «gäu, kitschig»). Raphael ist der Detailmensch, ein Flight-Attendant, er lebt nach Dienstplan. Als Ciccio erstmals von einer Leihmutter spricht, sagt er: «Ich bin bereit, aber ich will genau wissen, wie das funktioniert.» In der Zeitung hat er von Frauen gelesen, die zur Leihmutterschaft gezwungen wurden. «Ich hätte lieber ein Kind adoptiert», sagt er, «aber die Adoption ist schwulen Paaren in der Schweiz verboten.» Das Gleiche gilt für die Leihmutterschaft. In den USA, in Indien, Thailand oder in der Ukraine hingegen ist sie erlaubt.
Fast zwei Jahre auf der Suche
Das Ja zur Leihmutter. «Am Ende kamen für uns nur die USA infrage», sagt Ciccio. Zwar ist die Leihmutterschaft dort teurer als anderswo – das Paar bezahlt weit über 100 000 Franken. «Aber wir wollten eine Frau, die das aus Überzeugung und nicht nur wegen des Geldes macht.» Ciccio scrollt durch sein Handy, dann liest er laut vor: «Meine Kinder sind das kostbarste Geschenk für mich. Darum möchte ich anderen helfen. Und ich liebe es, schwanger zu sein!» – Worte aus einem Brief von Gaias Leihmutter: Elissa, 37, Amerikanerin, Krankenschwester, zweifache Mutter. Raphael und Ciccio haben sie über eine amerikanische Agentur gefunden. Die Suche dauerte fast zwei Jahre. «Unerträglich lange», sagt Ciccio. Im September 2015 ist es so weit – die Agentur arbeitet den Vertrag zwischen Paar und Leihmutter aus: Wird abgetrieben, wenn das Kind behindert ist? Was, wenn das Kind bei der Geburt stirbt?
Sie ist schwanger! In New York lernt das Paar Elissa persönlich kennen, bei der Begrüssung umarmen sie sich. Dann setzen die Ärzte Elissa den Embryo ein. Die Spermien stammen von Ciccio («Ihm lag mehr daran als mir», sagt Raphael), die Eizellen von einer anonymen Spenderin – nicht von der Leihmutter. Raphael seufzt, wenn er daran denkt: «Die Agentur schickte uns einen Katalog mit 51 Spenderinnen – das ist, als würdest du dich durch Zalando klicken. Das löschte mir total ab.» Doch der Kinderwunsch war stärker.
Nie von der Brust getrunken
Raphael streichelt Gaia über das Köpfchen. «Ihre grossen Augen hat sie von ihrer genetischen Mama, die Stinkfüsse von mir.» Wenn Gaia 18 ist, kann sie bei der Agentur nachfragen, wer ihre genetische Mutter ist. «Mich nähme das wunder», sagt Raphael und steht auf. «Ich wickle Prinzessin mal.» Ciccio schaut den beiden nach: «Raphael ist der Beschützer, ich bin der Ernährer – und nachts steht auf, wer zuerst wach ist.» Gaia hat nie von der Brust getrunken, immer nur vom Fläschchen, damit keine emotionale Bindung zur Leihmutter entsteht. Auch den Alltag teilt sich das Paar auf, an zwei Tagen ist Gaia in der Kita.
Lange neun Monate. Raphael und Ciccio nennen Elissa das «Bauch-Mami» – «damit Gaia später versteht, wer sie zur Welt gebracht hat». In den ersten Wochen der Schwangerschaft schreiben sich Ciccio und Elissa täglich, beide sind im Sternzeichen Widder, essen gerne indisch, lieben die Serie «Blacklist». Doch ab dem fünften Monat meldet sich Elissa seltener, und wenn, dann nur noch mit «Yes» oder «No». Eine Freundin beruhigt die Väter: «Das sind die Hormone.»
«Ich war sauer auf sie», sagt Ciccio, «aber ich liess mir nichts anmerken, sie trug ja mein Kind aus. Und ich fühlte mich schuldig, weil ihr immerzu schlecht war.» Erstmals hat er Angst: Was, wenn Elissa das Baby nach der Geburt behalten will? Zwar steht im Vertrag, dass sie die Mutterrechte abtritt. Dennoch: Das Kopfkino läuft weiter.
Liebe ist das Einzige, was zählt
Das Elternglück. Am 21. November 2016 kommt Gaia Fabiola in Mankato, Minnesota, zur Welt, 53 Zentimeter, 3175 Gramm. Nur Minuten nach einem Notkaiserschnitt halten die Väter sie in den Armen. «Unvergesslich, aber auch surreal, weil wir so lange darauf gewartet haben», sagt Raphael. In Gaias Geburtsurkunde sind Ciccio und Raphael als Eltern aufgeführt, Gaia erhält einen amerikanischen Pass.
Elissa kommt oft vorbei, mit der Geburt ist auch die Herzlichkeit zurückgekehrt. Einen Tag vor Heiligabend fliegen die Väter mit Gaia in die Schweiz. In der Heimat ist nur Ciccio als Vater anerkannt. Raphael will Gaia adoptieren – aber das ist frühestens 2018 möglich. Dann tritt das revidierte Adoptionsrecht in Kraft.
Daheim warten Familie, Freunde, die Gotte. «Wenn Gaia in der Pubertät ist, wird sie gefordert sein, Jungs und Liebeskummer», sagt Ciccio und lacht. Das Paar macht sich keine Sorgen, dass Gaia das weibliche Wesen fehlen könnte. «Wir haben so viele enge Freundinnen.»
Und was, wenn später Fragen zu den zwei Vätern kommen? «Für Gaia ist das normal, sie kennt ja nichts anderes», sagt Ciccio, «aber wir sagen ihr bestimmt, dass die Liebe das Einzige ist, was zählt, egal von wem sie kommt.» Und Raphael fügt an: «Wir werden bestmöglich für Gaia sorgen. Aber welchen Eltern gelingt es schon, ihr Kind vor der Welt zu schützen?»