Morbus Bechterew gehört zu den häufigsten rheumatischen Krankheiten überhaupt. Sie ist unheilbar. Und sie kann fatal verlaufen und zur kompletten Versteifung der Wirbelsäule führen. Trotzdem ist sie stark unterdiagnostiziert. Sechs bis sieben Jahre dauert es im Schnitt, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Und betroffen sind längst nicht nur Männer, wie man lange meinte, sondern auch viele Frauen, und zwar vorwiegend schon in jungen Jahren.Bechterew nennt man diese Krankheit nach dem russischen Neurologen Wladimir Michailowitsch Bechterew. Zwar war er nicht der Erste, der die bechterewsche Krankheit beschrieb, er war aber der Erste, der eine im deutschen Sprachraum besonders beachtete Beschreibung lieferte. Bechterew erforschte angeborene und erlernte Reflexe, war neuro-anatomisch tätig und beschrieb Verläufe neuronaler Leitungsbahnen in Gehirn und Rückenmark. Er starb 1927 im Alter von 70 Jahren an einer Vergiftung. Man nimmt an, dass er auf Anordnung von Stalin ermordet wurde, nachdem er diesem zwei Tage zuvor eine schwere Paranoia diagnostiziert hatte.
Pharao Ramses II. in Ägypten litt genauso unter der Erkrankung wie auch Menschen in Palästina zur Zeit Jesu.Bechterew ist damit keine Zivilisationskrankheit, sondern ein seit Jahrtausenden existierendes Leiden. So finden sich im Altägyptischen nicht nur medizinische Beschwörungsformeln, sondern auch Rezepte gegen Versteifungen und Verkrümmungen.
In der Schweiz rechnet man mit gegen 70'000 Betroffenen. Meist beginnt sie zwischen dem 16. und 45. Lebensjahr. Sehr häufig leiden die Patienten jahrelang unter starken Rückenschmerzen oder scheinbaren Muskelverspannungen, ohne dass jemand an Bechterew denkt. Gerade im Anfangsstadium sind die Beschwerden unspezifisch und werden daher oft fehlgedeutet. Typisch sind über Monate anhaltende, tief sitzende Kreuzschmerzen, die am Morgen und in Ruhe am schlimmsten sind. Sie strahlen ins Gesäss und in die Oberschenkel aus und verstärken sich beim Husten oder Niesen. Auch Schmerzen in anderen Gelenken wie Hüfte, Knie und Schulter sind möglich. Frühzeichen sind zudem Erwachen in der Nacht, Müdigkeit sowie Morgensteifigkeit nach dem Aufstehen.
Die Bechterew-Erkrankung verläuft bei jedem Patienten anders. Bei einigen steht der Entzündungsschmerz im Vordergrund, bei anderen kommt es ohne Behandlung zur Versteifung der Wirbelsäule. In manchen Fällen verläuft die Krankheit besonders aggressiv, in anderen so mild, dass sie nie eindeutig diagnostiziert wird, obwohl die Entzündung permanent vorhanden ist. In bestimmten Fällen können Gelenke der Gliedmassen, innere Organe, der Darm oder das Auge sowie die Haut mitbetroffen sein. Gefürchtet sind jene Fälle, die zu einer invalidisierenden Versteifung der Wirbelsäule führen. Sie kann so stark sein, dass der Patient weder richtig geradeaus noch nach hinten blicken kann, was im täglichen Leben eine enorme Beeinträchtigung bedeutet.
Als Ursache der Krankheit vermutet man, dass vererbte Anlagen und Umwelteinflüsse eine übersteigerte Immunreaktion in Gang setzen. Die Krankheit kann nicht geheilt werden. Um die Beweglichkeit der Wirbelsäule zu erhalten, steht eine möglichst frühe Diagnose und angemessene Therapie im Vordergrund. Je nach Symptomen und Krankheitsaktivität gibt man Mittel gegen die Schmerzen und Entzündung, aber auch Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen. Mit den heute verfügbaren Substanzen ist es möglich, die entzündlichen Prozesse zu stoppen und ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.
Genauso wichtig wie wirksame Medikamente sind gezielte Gymnastik und Sport. Neben regelmässiger Bechterew-Gymnastik sind auch Ausdauersportarten wie Nordic Walking und Biken sehr hilfreich, um die Beweglichkeit zu verbessern und die Krankheitsaktivität zu bremsen. Das zeigen zahlreiche Studien, unter anderem eine aus dem Universitätsspital Zürich. Wertvoll sind auch Schwimmen und Skilanglauf, da dabei alle Muskeln und Gelenke beansprucht werden, ohne dass grosse Erschütterungen auftreten. Beim Schwimmen kann es eventuell nötig sein, eher Rückenschwimmen auszuüben, damit der Hals nicht überstreckt wird. Bei den Ballspielen sollten vor allem solche betrieben werden, bei denen man sich strecken muss wie zum Beispiel Volleyball. Körperliche Aktivitäten bewirken, dass die Schmerzen weniger stark wahrgenommen werden und der Bedarf an Schmerzmitteln abnimmt. Bewegung und Sport wirken zudem antidepressiv, stärken das Selbstwertgefühl und die Stresstoleranz. Körperlich aktive Menschen sind im Alter mobiler und weniger pflegebedürftig.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Bechterew-Patienten sich häufiger körperlich betätigen als die Durchschnittsbevölkerung. Wegweisend ist, dass Patienten, die Mitglied der Schweizerischen Vereinigung Morbus Bechterew sind, sich speziell vorbildlich verhalten. 70 Prozent von ihnen bewegen sich regelmässig. Die Vereinigung führt Bewegungs-Therapiekurse (siehe Box unten) in der ganzen Schweiz durch.
Neue Kurse nach dem Sommer
Die Schweizerische Vereinigung Morbus Bechterew wurde 1978 mit dem Ziel gegründet, den Personen zu helfen, die vom Morbus Bechterew, der entzündlichen Wirbelsäulenversteifung oder einer verwandten Krankheit betroffen sind. Die Vereinigung arbeitet mit den Rheumaligen, mit Kliniken, Ärzten und Physiotherapeuten zusammen und steht ihren Mitgliedern bei der Bewältigung der Krankheit bei – eine nicht immer leichte Aufgabe. Sie organisiert Therapien und bietet Kurse in der ganzen Schweiz an. Zu den wichtigen Aufgaben gehören weiter die Information über alle Aspekte der bechterewschen Erkrankung sowie die Beratung der Betroffenen und Angehörigen. Die Vereinigung unterstützt im Rahmen ihrer Möglichkeiten die wissenschaftliche Forschung über den Morbus Bechterew.
Neue Bewegungskurse in Zürich, Rücken-Center Nähe Hauptbahnhof, in der Reha-Clinic Zollikerberg ZH sowie im Gesundheitszentrum Riehen BS.
Anmeldung über www.bechterew.ch.
Check: Das müssen Sie wissen
Folgende Symptome sind für den Beginn der Bechterew-Krankheit charakteristisch:
- Zwischen rechts und links wechselnde Gesässschmerzen mit Bewegungseinschränkung in der Lendenwirbelsäule und Ausstrahlung in die Oberschenkel.
- Besserung bei Bewegung und Verschlimmerung bei Ruhe.
- Morgensteifigkeit länger als 30 Minuten.
- Dauer der Beschwerden über mehr als drei Monate.
- Auftreten der Steifigkeit und der Schmerzen vor allem in den frühen Morgenstunden.
Ein praktischer Online-Diagnosetest bestehend aus zehn Fragen mit automatischer Auswertung und Empfehlung sowie Verlinkung zu erfahrenen Ärzten: www.bechterew.ch/testen