Darüber reden wollen die wenigsten, schon gar nicht darüber, dass sie keinen Bock darauf haben. Denn in den Medien wird ja das Bild von der immerwährenden Leidenschaft verbreitet.
Die Sexualität von Frauen ist kompliziert und äusserst störanfällig. Mangelnde Lust, Orgasmusschwierigkeiten, Schmerzen beim Sexualverkehr vermiesen vielen Frauen die schönste Nebensache der Welt.
Bei einer Umfrage auf der deutschen Webseite von «Frauenärzte im Netz» beklagt sich jede dritte Frau über mangelndes Verlangen. Bei mehr als 11 Prozent der Frauen treten Störungen der sexuellen Erregung auf, jede vierte Frau hat Orgasmushemmungen, fünf Prozent geben gar an, noch nie einen Höhepunkt erlebt zu haben. Etwa zehn Prozent der Frauen empfinden während des Geschlechtsverkehrs Schmerzen, und ein noch grösserer Anteil gibt an, den Sex als unangenehm zu empfinden. Für den Gynäkologen Dr. Reto Stoffel ist klar, dass vor allem nach der Geburt von Kindern das Begehren nicht mehr so richtig klappt. «Da braucht es einige Anstrengungen, dass sich das körperliche Verlangen wieder einstellt.»
Liebeskiller können neben Stress, Partnerschafts- und Hormonproblemen auch körperliche Ursachen sein. Beim Vaginismus, dem Scheidenkrampf, ziehen sich die Beckenboden- und Teile der Vaginalmuskulatur reflexartig zusammen. Ein Eindringen des Penis ist nicht mehr möglich oder nur unter Schmerzen. Beim sogenannt primären Vaginismus sind vor allem negative Sexualerfahrungen, eine antisexuelle Erziehung, sexueller Missbrauch oder Partnerschaftsprobleme als Ursachen auszumachen. Frauen mit Vaginismus empfinden jedes Eindringen in die Scheide, sei es mit dem Finger, einem Tampon oder dem Spekulum des Gynäkologen, als Übergriff und reagieren darauf mit einem Scheidenkrampf. Es gibt auch den situationsbedingten Vaginismus. Wie zum Beispiel den einer Patientin, die nur einen Scheidenkrampf bekommt, wenn der Mann sie sehr zärtlich auf den Sexualverkehr einstimmen will. «Ist ein Mann grob, vergewaltigt quasi die Frau, bleibt der Scheidenkrampf aus», erzählt Dr. Stoffel.
Ganz anders beim sekundären Vaginismus, der durch eine traumatische Geburt, eine Operation oder anlagebedingt verursacht wird. Dr. Reto Stoffel hat sechs Frauen mit sekundärem Vaginismus erfolgreich behandelt. Die eine Patientin verspürte nach einer Schwangerschaft mit lang dauernder Geburt Schmerzen beim Sex. Nachdem Östrogencrèmes nicht geholfen hatten, untersuchte der Gynäkologe die Frau genauer und fand einen Zentimeter oberhalb des Scheideneingangs einen dicken Wulst beidseitig. Untersuchungen ergaben, dass durch die lange Geburt der Muskel in der Scheide verletzt worden war. Es entstand eine Fibrose, die Scheide war nicht mehr passierbar. «Ich kam zum Schluss, dass ich den Muskel auf beiden Seiten spalten musste, ohne zu vernähen, da die Schleimhaut wieder darüber wächst. Die Scheide war danach wieder normal weit, und nach sechs Wochen berichtete die Patientin, dass sie wieder ein normales Liebesleben führen kann», erklärt Dr. Stoffel.
Eine andere Patientin kam mit einer Hyperplasie der Scheidenmuskulatur in die Praxis. Unter Hyperplasie versteht man die Vergrösserung eines Gewebes oder Organs durch Zunahme der Zellzahl. «Ich habe auch da meine Methode angewandt, habe den Muskel aufgespalten, und die Patientin hatte danach zum ersten Mal mit 30 Jahren normalen Sexualverkehr.»
Nicht immer kann der Gynäkologe bei Sexualstörungen so effizient helfen. Libidoverlust etwa kann verschiedene Ursachen haben: Das Lustempfinden hängt auch mit dem Hormonhaushalt zusammen und ist damit vom Zyklus abhängig. Zudem gibt es Lebensphasen, in denen Frauen weniger Lust auf Sexualität verspüren, wie nach einer Geburt oder in den Wechseljahren. «Am ehesten hilft ein synthetisches Steroid, das gegen Wechseljahrbeschwerden abgegeben wird. Es vermag die Stimmungsschwankungen zu dämpfen und wirkt lustvermehrend», erklärt Dr. Stoffel. Medikamente können aber auch Ursache für Libidoverlust sein. Darunter fallen unter anderem Beruhigungsmittel, Antidepressiva, Medikamente gegen Bluthochdruck und Senkung der Blutfette, Kortison, Herzmedikamente, Anti-Epileptika, Mittel zur Entwässerung.
Laut Experten ist das Ausbleiben des weiblichen Orgasmus nicht typisch. Die meisten Frauen – und hoffentlich auch die Männer – wissen heute, dass oft nur die Stimulation der Klitoris zum Höhepunkt führt. Frauen mit Orgasmusschwierigkeiten wird empfohlen, Stimulationsmöglichkeiten am eigenen Körper auszuprobieren. Denn nur wenn Frauen wissen, was sie erregt, können sie beim Sexualverkehr die Zärtlichkeiten einfordern, die sie zum Höhepunkt führen. Der Partner wird in den meisten Fällen dankbar dafür sein.
Das müssen Sie wissen:
Mangelnde Lust
Es gibt Lebensphasen, in denen Frauen weniger Lust auf Sexualität verspüren – etwa nach einer Geburt oder in den Wechseljahren.
Orgasmusstörungen
Frauen mit Orgasmusschwierigkeiten wird empfohlen, Stimulationsmöglichkeiten am eigenen Körper auszuprobieren.
Vaginismus
Beim Scheidenkrampf ziehen sich die Beckenboden- und Teile der Vaginalmuskulatur reflexartig zusammen.