«Seit meinem 50. Lebensjahr leide ich an nächtlichen, sehr intensiven Schweissausbrüchen. Auch mit einer Hormonbehandlung konnte ich keine Verbesserung erzielen. Tagsüber habe ich sehr selten solche Wallungen. Im vergangenen Jahr konsultierte ich bereits zwei Hormonspezialisten und den Hausarzt. Bisher leider erfolglos. Infolge der nächtlichen Schweissausbrüche habe ich auch zunehmend Schlafstörungen und depressive Verstimmungen. Ich habe Angst, dass sich das nie mehr bessert. Deshalb gelange ich an Sie. Vielleicht können Sie mir helfen.»
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Dr. med Samuel Stutz antwortet:
Der menschliche Körper hat über zwei Millionen Schweissdrüsen. Durch das Schwitzen wird die normale Körpertemperatur gesteuert. Für die Steuerung der Schweissdrüsen ist das vegetative Nervensystem verantwortlich. Jeder Mensch hat ganz unterschiedliche Schweissreaktionen. Einige Menschen schwitzen erst unter grossen Anstrengungen und bei extremer Hitze. Bei anderen reicht bereits eine leichte körperliche Belastung oder Stress.
Rund ein Prozent der Menschen in der Schweiz leiden an Hyperhidrose, das heisst an übermässigem Schwitzen. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Diese Störung kann auftreten, ohne dass man eine Ursache findet, aber auch Zeichen einer inneren Erkrankung sein.
Eine Variante ist das nächtliche Schwitzen. Ohne weitere Symptome ist Nachtschweiss meistens harmlos und mit einer Änderung der Schlafgewohnheiten und Entspannungsverfahren oft gut behandelbar. Kommt es regelmässig zu nächtlichen Schweissausbrüchen, muss man zum Arzt, vor allem dann, wenn gleichzeitig andere Beschwerden wie Fieber, Gewichtsverlust oder Schmerzen auftreten. Oft sind hormonelle Ursachen dafür verantwortlich, besonders in den Wechseljahren oder bei Schilddrüsenerkrankungen. Eine ganze Reihe von Medikamenten kommt ebenfalls als Auslöser infrage. Auch Schlafapnoe kann zu nächtlichen Schweissattacken führen. Schweissausbrüche im Schlaf gehören unter Umständen auch zu den ersten Warnzeichen für bestimmte Tumore.
Bei unserer Patientin hat eine nochmalige internistische, endokrinologische Untersuchung keine organische Ursache für das nächtliche übermässige Schwitzen zu Tage gefördert. Insbesondere die Abklärung auf einen hormonproduzierenden Tumor zeigte keinerlei Anhaltspunkte. Zudem blieben sämtliche Behandlungsversuche durch zwei erfahrene Gynäkologen erfolglos. Kommt dazu, dass jegliche Begleitsymptome fehlen, die auf eine organische Ursache hinweisen würden. Unsere Patientin wacht nicht auf, weil sie übermässig schwitzt. Sie schwitzt erst, nachdem sie bereits aufgewacht ist. Und – das ist der entscheidende anamnestische Punkt – das Schwitzen verstärkt sich bei Stressbelastungen und Sorgen.
Dazu passt, dass Benzodiazepin-haltige Beruhigungsmittel das Schwitzen deutlich lindern, wie die Leserin bei einem weiteren Gespräch berichtet. Dies bekräftigt zwar unseren Eindruck, dass das nächtliche Schwitzen im vorliegenden Fall eine automatisch ablaufende Reaktion auf emotionalen Stress darstellt, lässt aber gleichzeitig alle Alarmglocken läuten, weil der Weg in die Medikamentenabhängigkeit und Sucht damit programmiert ist.
Wir raten der Leserin daher dringend, einen anderen, bewussteren Umgang mit emotionalen Belastungen zu finden und sich dazu von einem erfahrenen Therapeuten beraten zu lassen. Hilfreich dazu sind unter Umständen auch Entspannungsverfahren wie autogenes Training, progressive Muskelrelaxation oder sogar eine medizinische Hypnosetherapie. Auf jeden Fall ist eine fachärztliche oder psychologische Hilfe wichtig, weil sich sonst die Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen verschlimmern. Unterstützend helfen wenn nötig Lebensstilanpassungen. Das heisst Normalgewicht anstreben, auf scharf gewürzte Speisen, Alkohol sowie übermässigen Kaffeekonsum verzichten. Viel Bewegung hilft, dass sich das vegetative Nervensystem wieder besser einreguliert und sich die Schweissproduktion normalisiert.
Noch ein Hinweis für Menschen, die an therapieresistentem, schwerem übermässigem Schwitzen leiden, bei dem keine behandelbare Ursache gefunden werden kann. Die Schweissdrüsen geben ihr Sekret nur ab, wenn sie vom vegetativen Nervensystem Impulse bekommen. Wird die Nervenversorgung chirurgisch unterbrochen, hört die Schweisssekretion auf. An grossen Kliniken macht man heute die thorakale Sympathektomie, um Hände, Achselhöhlen, Kopf oder andere Regionen des Körpers trocken zu legen. Dazu wird im Brustraum der Sympathikusnerv durchtrennt, welcher die Impulse zur Schweissabsonderung an die Schweissdrüsen sendet. Durchgeführt wird dieser Eingriff heute minimalinvasiv durch eine Spiegelung des Brustkorbes unter Vollnarkose, indem pro Seite ein kleiner Schnitt am vorderen Ende der Achselhöhle gemacht wird. Am Abend können die meisten Patienten die Klinik wieder verlassen. In den Händen eines geübten Chirurgen handelt es sich um einen circa 20-minütigen Routineeingriff, der mit geringen Risiken verbunden ist.
In einigen Zentren wird heute auch die lumbale Sympathektomie zur Behandlung von Schweissfüssen angeboten. Sie ist technisch schwieriger als die thorakale Sympathektomie.
Sind Sie ein scheinbar unlösbarer «Fall»? Schreiben Sie an sprechstunde@doktorstutz.ch.