Gefährlicher Trend: Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer erkranken an den vor ein paar Jahren schon fast als besiegt geglaubten Geschlechtskrankheiten Syphilis und Gonorrhö. Das jüngste Bulletin des Bundesamtes für Gesundheit zeigt erschreckende Zahlen: Bis Mitte August wurden in diesem Jahr 758 Fälle von Syphilis und 832 Gonorrhö-Fälle registriert. Tendenz steigend. Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren die Zahlen der Erkrankungen rückläufig, sodass 1998 die Meldepflicht für Syphilis sogar aufgehoben wurde. Und das, obwohl laut Prof. Stephan Lautenschlager, Chefarzt am Dermatologischen Ambulatorium des Stadtspitals Triemli in Zürich, schon damals eine Trendumkehr festgestellt werden konnte. Eine starke Zunahme gibt es nicht nur bei Syphilis und Gonorrhö, sondern auch bei der sexuell übertragbaren Infektion mit Chlamydien. Hier sind fast die Hälfte aller Patientinnen junge Frauen bis 20.
Syphilis oder die «Franzosenkrankheit», wie sie genannt wird, sorgte seit 1500 für europaweite Epidemien. Kardinal Richelieu, Katharina die Grosse, Gustave Flaubert, Franz Schubert, Paul Gauguin, Oscar Wilde oder Heinrich Heine, um nur einige zu nennen, wurden Opfer der Syphilis. Denn heilbar war die Krankheit lange Zeit nicht. Erst 1905 wurden spiralförmige Bakterien als Verursacher entdeckt. Mit der Entwicklung von Penizillin im Jahre 1943 hatten Mediziner endlich eine Waffe gegen die tödliche Krankheit in der Hand. «Die Inkubationszeit beträgt bei der Syphilis durchschnittlich drei Wochen, sie kann jedoch zwischen neun und neunzig Tagen variieren», erklärt Prof. Lautenschlager. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch den sexuellen Kontakt mit einer infizierten Person, die ein Frühstadium der Krankheit aufweist. «Durchschnittlich gehen wir von einer Ansteckungsrate von einem Drittel bei einmaligem Kontakt aus.» Bei einer Spätsyphilis, Jahre nach der Ansteckung, ist das Infektionsrisiko nur minimal.
Die ersten Symptome sind leicht zu übersehen. «Meist zeigt sich ein schmerzloses Geschwür an der Stelle, wo der Erreger eingetreten ist. Innerhalb von etwa sechs Wochen heilt dieses Geschwür spontan ab, ohne dass aber die Infektion geheilt ist. Wird das Ulkus nicht entdeckt, kann die Krankheit meist im zweiten Stadium anhand von diversen Hautausschlägen diagnostiziert werden. Wird sie auch in diesem Stadium noch übersehen, drohen nach Jahren bis Jahrzehnten ernsthafte Komplikationen an Herz, Gefässen und Gehirn, die bei jedem zehnten Patienten zum Tod führen», sagt Prof. Lautenschlager. Eine weitere ernsthafte Folge ist die Übertragung der Krankheit während der Schwangerschaft auf das Kind. «Etwa die Hälfte der infizierten Ungeborenen sterben, bei den übrigen können Missbildungen auftreten. Solche Fälle diagnostizieren wir auch in der Schweiz wieder», erklärt der Dermatologe. 2008 wurde bei acht Babys Syphilis nachgewiesen.
Die Gonorrhö ist weltweit eine der häufigsten Geschlechtskrankheiten. Auch in der Schweiz kommt die volkstümlich Tripper genannte Infektion immer öfter vor. «Im Jahr 1998 wurden noch knapp 300 Fälle gemeldet, heute muss mit einer Zunahme von jährlich über 1200 Fällen gerechnet werden. Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich 2 bis 5, selten länger als 14 Tage», erklärt Prof. Lautenschlager. Typisch zeigt sich die Gonorrhö beim Mann durch eitrigen Ausfluss aus dem Penis. Bei etwa jedem vierten Infizierten findet man nur eine gerötete Harnröhre oder eine schmerzhafte Urinausscheidung. Die Krankheit kann sich aber praktisch auf alle umliegenden Strukturen ausdehnen und Komplikationen an Eichel, Nebenhoden, Prostata oder Harnröhre hervorrufen. «Die Gonorrhö ist zusätzlich die häufigste Ursache einer Proktitis, einer Entzündung des Enddarms bei vorwiegend homosexuellen Patienten», sagt der Facharzt. Bei jeder zweiten erkrankten Frau verläuft die Ansteckung fast ohne Symptome. «Als Komplikation ist vor allem das Aufsteigen der Infektion in Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke gefürchtet.»
Von der Infektion mit Chlamydien sind vorwiegend Frauen betroffen. Heimtückisch ist die Krankheit vor allem, weil sie oft unentdeckt bleibt und in der Folge zu Unfruchtbarkeit führen kann. Die Symptome: Brennen beim Wasserlassen, oft geht sie auch einher mit einem Juckreiz. Bei Männern können Chlamydien ausser der Harnröhre besonders die Nebenhoden betreffen.
Die Ursachen der steigenden Tendenz bei Geschlechtskrankheiten sind für Prof. Lautenschlager klar: «Wegen der wirkungsvollen Therapiemöglichkeiten bei HIV haben die ungeschützten Kontakte zugenommen. Ein ganz wesentlicher Punkt bei Syphilis und Gonorrhö ist jedoch die Übertragung durch Oral-Sex, der, gerade im Sexgewerbe, teilweise immer noch als unproblematisch angesehen wird», erklärt der Leiter des Ambulatoriums. Während die Behandlung von Syphilis und Chlamydien mit den korrekten Antibiotika meist unproblematisch ist, besteht bei der Gonorrhö eine grosse Resistenzproblematik. Nur eine einzige Antibiotikagruppe ist gegen Gonorrhö noch genügend wirksam.
Es versteht sich, dass auch Partner und Partnerinnen von Infizierten therapiert werden müssen. «Sowohl eine durchgemachte Syphilis als auch eine Gonorrhö hinterlassen keine bleibende Immunität, sodass weitere Ansteckungen möglich sind und auch nicht selten vorkommen», erklärt der Dermatologe. Kondome sind noch immer der verlässlichste Schutz vor Ansteckungen. Die Übertragung von Chlamydien und Gonorrhö ist bei korrekter Anwendung praktisch unmöglich. Doch Prof. Lautenschlager schränkt ein: «Das Risiko bei der Syphilis wird mit Kondomen deutlich reduziert, jedoch gibt es hier keinen hundertprozentigen Schutz.»
CHECK
Schutz auch bei Oral-Sex!
Bakteriell bedingte Sexualkrankheiten
Chlamydien: Entzündung der Harnröhre, Juckreiz und Brennen beim Wasserlassen. Bei Männern können auch Prostata und Nebenhoden infiziert werden. Frauen drohen Entzündungen, Eileiterschwangerschaft und Unfruchtbarkeit. Chlamydien haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Fast die Hälfte der Infizierten sind junge Frauen bis 20.
Syphilis: Erstes Symptom ist meist ein schmerzloses Geschwür, das oft übersehen wird. Zweites Stadium: Hautausschläge. Im dritten Stadium sind Herz, Gefässe und Gehirn betroffen. Unbehandelt kann Syphilis tödlich enden.
Gonorrhö: Beim Mann eitriger Ausfluss, Schmerzen beim Wasserlassen. Unbehandelt kommt es zu Entzündungen der Prostata und Nebenhoden. Folge: Unfruchtbarkeit. Bei Frauen verläuft sie häufig unbemerkt. Bei einer Infektion von Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcken droht Unfruchtbarkeit. Kann bei der Geburt auf das Kind übertragen werden.