Check-up: Hämochromatose

Wenn Eisen vergiftet

Hämochromatose? Alles spricht nur von zu wenig Eisen. Dabei ist zu viel davon im Körper hochtoxisch, egal, ob es sich um eine angeborene Krankheit oder um eine Eisenüberladung handelt.

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Hochgiftig! Zu viel Eisen im Blut kann krank machen
Foto Science Photo Library / Keystone

Die meisten betroffenen Patienten haben eine lange Odyssee hinter sich. Viele werden von ihrem Arzt als psychosomatisch krank etikettiert und zum Psychiater geschickt. Die Krankheit Hämochromatose ist selbst unter Medizinern oft ein Fremdwort, und ihre Häufigkeit wird total unterschätzt, völlig zu Unrecht. Denn die Hämochromatose ist eine der häufigsten vererbten Krankheiten überhaupt. Mit der Völkerwanderung der Kelten hat sie sich über ganz Europa verbreitet. Etwa jeder achte bis zehnte Nordeuropäer hat die entsprechende Anlage auf Chromosom Nr. 6 von einem Elternteil geerbt. Verursacht wird sie durch einen Gendefekt, der zu einer erhöhten Aufnahme von Eisen im Dünndarm führt. Neben dieser genetischen Hämochromatose gibt es auch eine sekundäre, das heisst eine erworbene sowie eine juvenile und eine neonatale Hämochromatose. Die erworbene Hämochromatose kann durch blosse Bluttransfusionen bei Sichelzellanämie, Thalassämie, beim myelodysplastischen Syndrom MDS oder bei missbräuchlicher Einnahme von intravenösem Eisen zu Dopingzwecken auftreten. Also: Sportler, aufgepasst! Wichtig: Schon zwanzig Bluttransfusionseinheiten bergen die Gefahr einer Eisenvergiftung.

In jüngster Zeit mehren sich deshalb in der Fachpresse die Stimmen, die vor einer unkritischen Eisengabe quer durch die Bevölkerung warnen. So schreibt das «Schweizerische Medizinforum», das offizielle Fortbildungsorgan der Verbindung der Schweizer Ärzte: «Wir warnen ausdrücklich vor dem von selbst ernannten Eisenspezialisten verbreiteten Enthusiasmus und Eifer, jedes Ferritin von weniger als 50 zu korrigieren. Zu viel Eisen ist hochtoxisch, wie das Krankheitsbild der hereditären oder sekundären Hämochromatose lehrt, und es ist nicht auszuschliessen, dass relativ tiefe Eisenspeicher – beim Fehlen einer Anämie – auch einen gewissen Schutzmechanismus des Körpers darstellen.»

Die juvenile Hämochromatose zeigt sich zwischen 15 und 30 Jahren. Die neonatale Hämochromatose ist eine seltene Form. Sie tritt bereits nach der Geburt oder im Kindesalter auf. Der Verlauf ist meist sehr schwer.

Gleichgültig, um welche Form der Hämochromatose es sich handelt, die ersten Anzeichen wie Müdigkeit und Gelenkbeschwerden sind unspezifisch. Leider werden die Symptome von den Ärzten oft falsch interpretiert. Deshalb sollten im Verdachtsfall die Transferrinsättigung und der Ferritinwert bestimmt werden. Auch im Verlauf einer Transfusionsbehandlung müssen diese Werte regelmässig kontrolliert werden. Ab einem Ferritin von 1000 handelt es sich um eine gesundheitsschädigende, behandlungsbedürftige Eisenüberladung.

Schleichende Eisenüberladung im Organismus kann zu Schädigungen verschiedener Organe führen. Lebervergrösserung, Leberzirrhose, Diabetes mellitus, Herzschwäche und Hormonstörungen. Pseudogicht und Gelenkbeschwerden können Folgen der Eisenüberladung sein. Eine frühzeitige Diagnose mit anschliessender Therapie ist lebenswichtig. Sie verbessert die Lebensqualität, und die Lebenserwartung bleibt unverändert. Wenn die Krankheit zu spät oder gar nicht diagnostiziert und behandelt wird, kann sie zum frühzeitigen Tod führen.

Die Therapie besteht aus dem Aderlass. Am Anfang einmal wöchentlich, bis der Ferritinwert auf 100 abfällt, danach individuell zweibis zehnmal pro Jahr, und das ein Leben lang. Eine neuere Therapieoption bei der erworbenen Hämochromatose sind eisenbindende Medikamente. Sie entfernen Eisen, bevor die Organe geschädigt werden. Die einmal tägliche Einnahme eignet sich auch für die Langzeitmedikation und ist gut verträglich. Studien beweisen die organschützende und lebensverlängernde Wirkung.

Check
Darauf müssen Sie achten!
Symptome der Krankheit: 
Allgemein: starke Müdigkeit, Reizbarkeit, depressive Verstimmung, Infektanfälligkeit,
Nachlassende Libido, Veränderung von Länge und Stärke der Mens
Haut: graubraune Färbung, vermehrt Bildung roter Flecken, unregelmässige Pigmentierung, im Spätstadium Bronzetönung
Haarausfall oder frühzeitiges Ergrauen der Haare
Krämpfe im Oberbauch, besonders auf der rechten Seite, Schmerzen in der Brust, Kurzatmigkeit, unregelmässige Herzschläge
Gelenkschmerzen (besonders Knie, Hüfte, Finger)

 

Von Dr. Samuel Stutz am 30. August 2010 - 10:51 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 19:53 Uhr