Marc Chagall war ein Fabulierer. Ein begnadeter Erzähler mit Pinsel und Farbe. In seine Bilder packte er gerne mehrere Geschichten gleichzeitig. So als ob ihm beim Malen stets was Neues einfallen würde, das unbedingt auch noch auf die Leinwand müsste. «Ich und das Dorf» (o.) ist ein solches Werk. Das Bild entsteht 1911 während des ersten Aufenthalts von Marc Chagall (1887–1985) in Paris. Es stellt das Leben in seinem geliebten Heimatort Witebsk in Weissrussland dar: ein jüdischchassidisches Dorf, in dem die Bevölkerung im Einklang lebt mit Tier und Natur. Zwei der Häuser stehen auf dem Kopf, auch die Frau des Bauern mit der Sense. Ein Mann (grün) und ein Tier (vielleicht eine Kuh) schauen sich in die Augen, auf der Backe des Tieres eine Bäuerin, die eine Kuh melkt. Ein Blumenstrauss zwischen Mann und Tier.
Chagall verwebt Wirklichkeit und Fantasie. Seine Bildsprache wird sich im Verlauf der langen künstlerischen Laufbahn nicht mehr gross ändern: schwebende Figuren, fliegende Kühe und Hähne, üppige Blumensträusse, das Dorfleben. Indem Chagall seine jüdischrussische Kultur in Dialog mit den Bildsprachen der Moderne bringt, unter anderem mit Fauvismus und Kubismus, entstehen einige der innovativsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts. Doch nicht nur: Chagall selbst zählt zu den berühmtesten und beliebtesten Künstlern seiner Epoche.
Das Kunsthaus zeigt rund 90 Gemälde und Arbeiten auf Papier, wobei sich die Schau vor allem auf die frühen Pariser Jahre (1911– 1914) sowie die anschliessende Zeit in seiner russischen Heimat (1914–1922) konzentriert. In diesen entscheidenden Jahren etabliert sich Chagall als Pionier der modernen Kunst und entwickelt seinen unverwechselbaren Stil. Seine Identität als jüdischer Künstler wird er sein ganzes Leben lang bewahren.
Kunsthaus Zürich
Bis 12.5.13
Sa/So/Mo/Di 10–18, Mi/Do/Fr 10–20 Uhr
Tel. 044 253 84 84
www.kunsthaus.ch