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Arno Camenisch

Spiel mit der Sprache

Wortstark: Der Schriftsteller Arno Camenisch hat in jüngster Zeit gleich drei Preise für sein Schaffen erhalten. Nun ist sein neuestes Buch erschienen.

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Wären da nicht der verwuschelte Haarschopf und die zerfledderten, hüfttiefen Jeans, man hätte das Gefühl, einen Menschen aus einer anderen Epoche vor sich zu haben. Es ist diese Bescheidenheit, die sofort an Arno Camenisch, 32, und seiner Umgebung auffällt. Seine Schreibstube im Estrich eines Hauses aus den 50er-Jahren ist spärlich möbliert, aber atmosphärisch aufgeladen. Für den Bündner ist es ein Ort des Rückzugs. «Hier habe ich das Gefühl, irgendwo anders zu sein als in Biel.» Und hier entstand sein Erstling «Sez Ner» (2009).

Das in Deutsch und Romanisch geschriebene Buch wurde ein Bestseller und mit dem Schillerpreis (Zürcher Kantonalbank), dem Berner Literaturpreis und dem Förderpreis des Kantons Graubünden ausgezeichnet. Die Beobachtungen vom Leben auf einer Bündner Alp am Fusse des Piz Sezner beschreibt Camenisch in nüchternen, dichten Sequenzen: «Der Senn liegt mit Kopfweh und verkratzter Backe neben den Schweinen. Der Stier der Nachbarsalp hat ihn auf die Hörner genommen, als er den Stier vertreiben wollte …»

In seinen Texten schafft der Autor gekonnt Irritation. Nicht selten kippt vordergründig Heimeliges ins Unheimliche. «Die Zweideutigkeit, das Ambivalente, ist mir wichtig. Vielleicht, weil ich mich selbst manchmal so fühle», erklärt der erfolgreiche Jungautor. Mit dem unverstellten Blick eines siebenjährigen Knaben schildert er in seinem neuen Werk «Hinter dem Bahnhof» die Bewohner und den Alltag eines Dorfes. Nimmt die Leser mit auf eine Entdeckungsreise, lässt sie teilhaben an Lausbubenstreichen und an grossen und kleinen Dramen. Farbigkeit und Rhythmus der Erzählung wirken einlullend. Denn Camenisch hat eine eigene, lautmalerische Sprache kreiert und lässt erfrischend komisch klingende Mundartwörter in die Sätze einfliessen. «Der Grossvater hat siebeneinhalb Finger … Die zweiein- halb Finger, die ihm fehlen, hat er an der grossen Bandsäga abgemacht. Er trägt den Ehering am linken Ringfinger ...»

Seit drei Jahren lebt Schriftsteller Camenisch in der Altstadt von Biel, weil er hier bis im Herbst am Schweizerischen Literaturinstitut studierte. In dieser Zeit wurde er auch Vater einer Tochter.

Wenn Camenisch nicht auf Lesereise ist, treibt es ihn schon frühmorgens in seine Mansarde. Im Winter ist es hier ziemlich kalt. Die Heizung ist lediglich Attrappe, denn sie funktioniert nicht. Auf dem Tisch steht ein Lampe vom Flohmarkt in Madrid, wo Camenisch drei Jahre lebte. Auch der Fauteuil und sein Pullover stammen von dort. «Ist das nicht absurd? Ein Pulli mit dem Logo des Skiclubs Büren an der Aare – das liegt doch im Flachland – landet auf dem Flohmarkt von Madrid.» Solche Geschichten faszinieren den ehemaligen Lehrer. «Ich schöpfe aus dem Fundus des Lebens», erklärt er. «Ich misstraue Ideen, sie sind mir zu flüchtig.» Da sind aber auch Bilder, reale und jene, die er im Kopf hat. Kommt die Fantasie hinzu, führen diese Komponenten zum Plot. Seine Gedichte schreibt der Schriftsteller mit feiner und spitzer Handschrift in linierte Notizhefte. Deutsch oder romanisch, je nach Stimmung. «Ich kämpfe nicht gegen das Verschwinden der romanischen Sprache. Es ist der Lauf der Zeit. Solange sie gesprochen wird, ist sie existent.» Und so lange wird Arno Camenisch auch mit dem Wort spielen und das Romanische zum Klingen bringen.

Aargauer Literaturhaus Lenzburg:
Lesung: 18. 11. um 19.15 Uhr mit Katja Lange Müller,
www.aargauer-literaturhaus.ch

 

Von Isolde Schaffter-Wieland am 13. November 2010 - 13:48 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 20:04 Uhr