Die Kollegen fragen, ob sie nächste Woche ins Kino mitkommt. Karin Studer beginnt zu rechnen. In sieben Tagen ist es so weit – ihre Periode setzt ein. In den Ausgang gehen – unmöglich! Die Bauchkrämpfe werden sie wieder einmal ans Bett fesseln. Einzige Lösung: Ruhe und Schmerzmittel.
Die 23-jährige Bernerin leidet an Endometriose. Eine gutartige, aber oft schmerzhafte chronische Erkrankung, bei der sich Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutter ansiedelt. Diese ortsfremden Schleimhautzellen gelangen dabei in den Bauchraum und docken an beliebigen Stellen wie dem Bauchfell, den Eierstöcken und am Darm an.
So bilden sich Endometrioseherde. Diese verhalten sich gleich wie die Gebärmutterschleimhaut in der Gebärmutter. Konkret: Werden während des Zyklus die Hormone Östrogen und Progesteron ausgeschüttet, vergrössern und vermehren sich die Endometrioseherde. Beginnt die Periode, kommt es zur Blutung und zum Abstossen von Gewebe. In den Endometrioseherden kann das Gewebe aber nirgends ablaufen. Folge: Entzündungen und Schmerzen.
Die genaue Ursache ist noch unbekannt. Sicher ist, dass die Menstruation selbst einen Teil beiträgt. Bei 90 Prozent aller gesunden Frauen fliesst ein Teil der Periode in den Bauchraum (retrograde Menstruation). Dieses Blut enthält lebensfähige Schleimhautzellen der Gebärmutter. Je nach weiteren Faktoren bilden sich Endometrioseherde. Dazu zählen: Vererbung, Umweltschadstoffe wie Dioxin und eine verminderte Immunabwehr.
Frauen zwischen 25 und 40 Jahren sind am häufigsten betroffen. Experten schätzen, dass rund zehn bis fünfzehn Prozent aller Frauen an Endometriose leiden. Das Schwierige daran: Die Diagnose wird im Schnitt erst nach sechs Jahren gestellt. «Oft erkennen Ärzte die Krankheit nicht», sagt Prof. Michel Mueller, Chefarzt Gynäkologie am Inselspital Bern. Grund: Zum einen sind sie schlecht aufgeklärt, zum anderen sind die Symptome vielfältig. Am häufigsten sind regelmässige, unerträgliche bis invalidisierende Regelschmerzen. «Es kommt aber auch darauf an, welche Organe befallen sind. Trifft es die Harnblase, folgen oft Blasenentzündungen.»
Bei Karin Studer dauerte es fünf Jahre, bis ihr Gynäkologe die Endometriose entdeckte. Er riet zu einer OP, um die Herde an der Bauchfelldecke zu entfernen. «Ich wusste überhaupt nicht, was das bedeutet, und begann zu recherchieren», erzählt Karin Studer, die damals 17 Jahre alt war. Um zu verhindern, dass sich nach der Operation neue Herde bilden, bekam sie Hormone. Diese versetzten Karin Studer in die Wechsel- jahre: Sie war endlich schmerzfrei, hatte dafür Hitzewallungen, Schlafstörungen und ein erhöhtes Osteoporose-Risiko.
Endometriose lässt sich auf verschiedene Arten behandeln. Neben Schmerzmitteln gegen die Symptome zählt der chirurgische Eingriff zur häufigsten Methode. Weil eine sichere Diagnose nur während einer Bauchspiegelung gelingt, können bei positivem Befund die Herde auf diesem Weg meist gleich entfernt werden. «Bei 80 Prozent der Patientinnen kehrt in diesem Fall die Endometriose nicht mehr zurück», sagt Prof. Mueller.
Daneben gibt es noch die Möglichkeit, den Hormonhaushalt auszugleichen und es damit nicht zur Periode kommen zu lassen! Diese Methode eignet sich allerdings nur bei Frauen ohne momentanen Kinderwunsch. Die Periode kann mit einer durchgehenden Einnahme der Pille, der Einlage einer Hormonspirale oder durch GnRH-Analoga gestoppt werden. Nachteil von GnRHAnaloga: erhebliche Nebenwirkungen. «Seit Kurzem können wir auch ein neues Hormonpräparat mit dem Wirkstoff Dienogest einsetzen», sagt Prof. Mueller. Vorteil: Es hat weniger Nebenwirkungen und trocknet die Herde zusätzlich aus.
Drei Jahre nach der Operation kehrten die Schmerzen bei Karin Studer zurück – sie musste erneut unters Messer. Danach setzte man ihr eine Hormonspirale ein. Besser wurde es nicht. «Die ersten sechs Monate waren unerträglich», sagt sie. Danach ging es langsam bergauf, heute ist sie wieder die meiste Zeit beschwerdefrei. Um sich auszutauschen, hat sie zusammen mit anderen Patientinnen eine Endometriose-Selbsthilfegruppe gegründet.
Endometriose belastet auch die Psyche: Das Fehlen am Arbeitsplatz, der oft schmerzhafte Sex und die Kinderlosigkeit sind häufige Probleme. Bis zu 50 Prozent aller Frauen, die keine Kinder bekommen können, leiden darunter. In diesem Jahr möchte Karin Studer die Endometriose-Vereinigung Schweiz gründen, denn: «Je mehr Leute davon wissen, desto eher wird betroffenen Frauen geholfen.»
Check:
Dann sollten Sie zum Arzt:
- Bei regelmässigen, unerträglichen Periodenschmerzen. Nicht zu verwechseln mit einem normalen, leichten Regelschmerz.
- Wenn Sie nie unerträgliche Regelschmerzen hatten und sie nun plötzlich auftauchen.
- Bei immer wiederkehrenden Blasenentzündungen.
- Bei unerfülltem Kinderwunsch.
- Bei Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.
- Test und weitere Infos unter www.endometriose-liga.eu