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SI online am «Burning Man 2017»

Im Staub, aus dem die Träume gemacht sind

Das «Burning Man» in der Wüste Nevadas ist eines der bekanntesten Festivals der Welt. Unser Redaktor Onur Ogul war mit dabei und fand im Wüstenstaub seine Freiheit.

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Wer in der Black Rock Desert schwarze Felsen erwartet, wird enttäuscht. Alles, was die Wüste Nevadas im Westen Amerikas bietet, ist Staub. Und einmal im Jahr das wohl berüchtigste und fantastischste Festival der Welt: «Burning Man». Ich war dieses Jahr einer von den 70'000 Teilnehmern, den sogenannten Burnern.

Als «Burning Man»-Jungfrau ist es üblich, sich nach dem Passieren der Gelände-Tore im Wüstenstaub zu wälzen und eine Glocke zu schlagen. Für mich läutete sie die bisher abenteuerlichste und atemberaubendste Woche meines Lebens ein.

Alles halb so schlimm

Als absoluter Camping-Hasser sah ich es als grosse persönliche Herausforderung, eine Woche in der Wüste zu überleben. Natürlich war das alles halb so wild, so waren einige erfahrene Burner aus der Schweiz mit mir unterwegs. Doch ich hatte nach jedem Sonnenuntergang trotzdem das Gefühl, etwas Aussergewöhnliches geleistet zu haben.

Burning Man 2017

Unser Camp. Gemütlicher Schutz vor der Sonne und hinten die Zelte. In den meisten Nächten schlief ich jedoch draussen.

Leo Luca Ricci

Immerhin brannte die Sonne täglich mit fast 40 Grad auf unsere Häupter. Wasser und Nahrung gabs nur so viel, wie man ins Camp mitbrachte. Starke Winde bliesen einem den Staub um (und in) die Ohren. So sehr, dass ich teilweise stehen bleiben, meine Staubbrille und mein Staubtuch aufsetzen und ausharren musste, bis ich wieder etwas sehen konnte.

Wenn Duschen und Waschen kein Thema mehr sind

Fliessendes Wasser gibts nur in den Träumen. Das nächste Toitoi-WC war ein 5-Minuten-Marsch von unserem Camp entfernt. Duschen und sich Waschen waren sieben Tage lang kein Thema. Mit unzähligen Feuchttüchern rieben wir den Staub von unseren Körpern. Oder auch nicht. Das Verhältnis zu Hygiene verändert sich in der Black Rock Desert schnell. Denn jedem gehts dort gleich. Irgendwie fühlte ich mich nie wirklich schmutzig. Der Wüstenstaub war so allgegenwärtig, dass ich ihn irgendwann nicht mehr als Dreck wahrnahm.

Tagsüber schwitzte ich, nachts, als die Temperaturen unter 10 Grad fielen, fror ich. Das und das dauernde Gefühl, Staub einzuatmen, erschwerte den Schlaf. Strom gabs grundsätzlich keinen. Es sei denn, man hatte einen benzinbetriebenen Generator dabei. Wir verzichteten in aller Wildnisliebe darauf.

Zurecht fragen sich nun einige: Weshalb um alles in der Welt machst du so was freiwillig?

Burning Man 2017

Gegen die Dehydrierung: Erfrischende Dusche auf der Tanzfläche. 

Leo Luca Ricci

Mit dem Velo durch das Traumland

Vor dem Festival hatte ich darauf keine bessere Antwort, als dass ich mal bei etwas ganz Grossem und Verrücktem dabei sein wollte. Jetzt im Nachhinein sage ich: Weil sich in dieser Woche zeigt, dass Menschen dazu fähig sind, einen toten Raum in der Grösse der Stadt Aarau in den schönsten Fleck der Erde zu verwandeln.

Schön, weil zahllose Kunstinstallationen die Kreativität der Menschheit zum Vorschein bringen. Nachts erleuchten die Figuren die tiefschwarze Nacht in allen Farben. Sie bilden blinkende und glitzernde Lichteroasen in der Wüste. Einige von ihnen fahren als Mobil über den staubigen Boden, spielen laute Musik und laden Menschen auf. Jede Nacht, als ich auf meinem mit Leuchtschlangen verzierten Velo unterwegs war, dachte ich aufs Neue: Ich bin mitten im Traumland.

«Männer tragen Kleidchen und Tütüs, Frauen rasieren sich den Körper nicht mehr»

Schön ist der Ort aber auch, weil jeder einzelne Burner schön ist - auf seine ganz individuelle Art. Ein beträchtlicher Teil läuft nackt herum, viele in Kostümen, andere wiederum in Alltagskleidung. Am Festival gibts kein Schönheitsideal. Es ist der Ort, wo jeder Mensch sein kann, wie er ist oder sein will. Ich habe nie so viele Fettröllchen, Cellulite, kleine Penisse und Brüste gesehen, die ohne Scham gezeigt wurden. Männer tragen Kleidchen und Tütüs, Frauen rasieren sich den Körper nicht mehr. Dieses unbeschwerte Gefühl, frei von gesellschaftlichen Normen zu sein, liess mich die Essenz von Freiheit spüren.

Die Burner zelebrieren freie Liebe, Sex, Drogen, Alkohol, Musik und Tanz. Jeder liebt jeden, Umarmungen mit wildfremden Menschen aus aller Welt gehören dazu. Die Atmosphäre ist so ansteckend, dass auch jeder sonst so distanzierte Schweizer die Hemmungen verliert.

Burning Man 2017

Das Partyvolk zeigte sich von seiner kreativsten Seite.

Leo Luca Ricci

Zahlreiche Workshops bieten Gelegenheit, auf einen Selbstfindungstrip zu gehen. Von esoterischen Seminaren über Kurse für den perfekten Oralsex bis hin zu Vorträgen über Führungskompetenzen können Burner alles Mögliche entdecken. Alles gratis, denn Geld existiert am Festival nicht. Es herrscht eine reine Schenkkultur. Diese ist der Grund, weshalb das Festival überhaupt lebt. Alles, was man sieht, hört, schmeckt und fühlt, stammt von den Festivalbesuchern und nicht von einem zentralen Organisator.

Millionäre werden zu Burnern

Was berüchtigt ist, zieht aber auch andere Menschen an. So gibt es mittlerweile Camps für Millionäre. Stars kommen und verbringen die Zeit in klimatisierten Unterkünften, feiern Partys in geschlossener Gesellschaft. Das widerstrebt den sonst offenen Burnern, die ziellos im Gelände herumfahren, spontan bei Camps anhalten und Speis und Trank miteinander teilen. Als ich auf meinem Velo an einem solchen abgesperrten Bereich vorbeifuhr, verspürte ich eine gewisse Abneigung gegen diese Menschen.

Ich konzentrierte mich viel lieber aufs Tanzen während Sonnenunter- und aufgängen.

Burning Man 2017

Meine Wenigkeit. Hohe Schuhe und Socken sind in der staubigen Wüste von Nevada ein Muss. Ebenso die Velos. Das Areal ist so gross wie die Stadt Aarau.

Leo Luca Ricci

Das tragische Ende des Holzmannes

Der Abschluss macht traditionellerweise die Verbrennung des Holzmannes in der Mitte des Geländes. Daher der Name des Festivals. Dieses Jahr überschattete ein tragischer Todesfall das Spektakel. Vom in die Flammen rennenden Mann haben wir jedoch nur gehört, weil uns alle Menschen ausserhalb des Festivals darauf ansprachen. Das Unglück vermag meine schönen Erinnerungen jedoch nicht zu trüben.

Die mehreren tausend Franken, stundenlange Flüge und Fahrten, sonnenverbrannte Lippen und der Staub in meinen Lungen, ein verlorengegangenes Gepäckstück. All das war der Preis für eine Woche Leben im Traumland. Ein fairer Deal.

Von Onur Ogul am 6. September 2017 - 14:23 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 13:15 Uhr