Liegt das Münstertal in der hintersten Ecke der Schweiz? Oder ist es die erste Ecke unseres Landes? Ansichtssache. Unbestritten ist: Aus diesem wunderschönen Tal kommt der beste Langläufer der Welt. «Na ja, wir wollen mal nicht übertreiben», sagt Dario Cologna, 23. Und dann mit einem Augenzwinkern: «Ich bin jedenfalls nicht der schlechteste.»
Wie das Tal, so der Star. Trotz seiner Erfolge bleibt Cologna wortkarg, zuvorkommend, bescheiden. Und seine Heimat tut es ihm nach: Die 1700 Müstairer lassen die Schönheit ihres Tals für sich sprechen. Wieso sollten sie auch viele Worte verlieren? Die unberührte Natur, die sattgrünen Wiesen und gepflegten Dörfer bilden ein malerisches Ensemble. Die kleine Welt jenseits des Ofenpasses – ein Paradies für Biker und Wanderer.
«Im Münstertal kennt jeder jeden», sagt Dario. Und dies ist nicht bloss ein Spruch: Kaum schwingt sich der Tschierver aufs Mountainbike, muss er gleich wieder absteigen. Ein Bauer hat nämlich gerade seinen Traktor angehalten – er möchte mit dem berühmtesten Sohn des Tals ein wenig plaudern. Dario nimmt sich gern Zeit für einen kleinen Schwatz. «Das sind ja alles Bekannte von mir, keine Fans.»
Dabei wohnt Cologna schon seit über sieben Jahren nicht mehr im Tal. «Mit 16 ging ich nach Ftan ins Gymnasium.» Seit er 20 ist, wohnt der Gesamtweltcupsieger der vergangenen Saison in Davos. «Man muss hier weg, wenn man etwas erreichen will. Aber im Herzen bleibt man Müstairer. Wann immer möglich komme ich nach Tschierv, um meine Eltern zu besuchen.»
Vater Remo und Mama Christine ermöglichten dem 23-Jährigen seine Karriere. Um Dario und seine zwei Geschwistern Andrea und Gian-Luca aufs Gymi schicken zu können, verkauften die Eltern gar ihr Haus in Müstair. «Wir hatten keinen Luxus zu Hause. Das prägte mich und hilft mir heute. Ich lernte, mich durchzubeissen», sagt Dario. «Das war schon immer eine seiner Qualitäten», bestätigt Vater Remo und lacht. «Selbst als Bub konnte er bei Spielen wie Eile mit Weile nie verlieren!»
Überschaubar, abgelegen und gemächlich, so beschreibt Zeitsoldat Dario Cologna, der zu fünfzig Prozent beim Bund angestellt ist, sein Tal. «Ich staune immer wieder über die Pracht der unberührten Natur.» Nirgends fühle er sich so wohl wie auf den 18 Kilometern zwischen Ofenpass und Müstair. «Wer Rambazamba möchte, ist in St. Moritz besser aufgehoben.» Sein Tipp: «Eine Wanderung zum Lai da Rims. Ich kenne keinen schöneren Bergsee in den Alpen. Schon als Kind wanderte ich mit meinen Eltern oft dorthin. Inzwischen nehme ich dafür das Bike. So kann ich Ausflug mit Training verbinden.»
Nur wenn man Dario nach einem Restaurant-Tipp fragt, drückt sich der Single um die Antwort. «Es hat nicht nur Vorteile, wenn jeder jeden kennt. Hebe ich jetzt ein Restaurant hervor, sind alle andern beleidigt. Da bleibe ich lieber diplomatisch. Hier gibts überall feine Capuns und leckere Nusstorte.»
Trainieren, wo andere Ferien machen: «Egal ob auf zwei Beinen oder zwei Rädern»
Ein Höhepunkt eines Münstertal-Besuches ist das Benediktiner-Kloster St. Johann in Müstair. «Hier ging ich bei Schwester Dumengia in den Chindsgi.» Die Klosterkirche aus dem Jahr 775 ist Unesco-Weltkulturerbe. Tipp: Das Kloster bietet im Frühling und im Herbst begleitete Fastenwochen an. Statt Alltagsstress stehen Besinnung, Meditation und Yoga auf dem Programm.
«Nichts für mich. Oder jedenfalls – noch nicht», sagt Dario und lacht. Statt Ruhe und Besinnung zu geniessen, trainiert er derzeit hart mit den Roll-Ski. «Die nächste Saison wird lang. Die Olympischen Spielen in Vancouver sind ein ganz besonderer Höhepunkt. Zum Glück weiss ich jetzt schon, wo ich mich anschliessend erholen werde.»
Nächste Woche Rainer Maria Salzgeber zweigt sein Wallis.