Mittlerweile ist Kurt Cobain (1967–1994) schon länger tot, als er gelebt hat. Mit gerade einmal 27 Jahren nahm er sich am 5. April 1994 das Leben und sicherte sich damit auf tragische Weise einen Platz im legendären «Klub 27» der jung verstorbenen Musikgenies. Seit diesem Tag steht der 1967 in dem Provinzstädtchen Aberdeen im US–Bundestaat Washington geborene Nirvana–Frontmann in einer Reihe mit grossen Namen wie Jimi Hendrix (1942–1970), Janis Joplin (1943–1970), Jim Morrison (1943–1971), Brian Jones (1942–1969) und Amy Winehouse (1983–2011). In diesem Klub kommt ihm das Alleinstellungsmerkmal zu, dass er als einziges Mitglied nicht ungeplant durch eine versehentliche Überdosis oder andere rauschbedingte Umstände aus dem Leben schied, sondern seinen Abgang in Form einer Flinte selbst in die Hand nahm.
Tragischer Abschied von Familie und Fans
Wie sein herzzerreissender Abschiedsbrief zeigen sollte, traf er seine Entscheidung nicht nur mit Blick auf seine Frau Courtney Love (59) und seine Tochter Frances (31), denen er ein Leben mit dem «unglücklichen und selbstzerstörerischen Deathrocker», als den er sich wahrnahm, ersparen wollte, sondern auch mit dem Blick auf seine riesige Fangemeinde, denen er nicht länger vormachen wollte, dass in ihm noch die Leidenschaft brannte, für sie Musik zu machen.
«Das schlimmste Verbrechen, das ich mir vorstellen kann, wäre es, den Leuten etwas vorzumachen, indem ich so tue, als ob ich 100–prozentig Spass hätte», schrieb er darin. Und fügte hinzu: «Ich habe alles in meiner Macht Stehende versucht, um es zu schätzen (und das tue ich auch, Gott sei Dank, aber es ist nicht genug). Ich schätze die Tatsache, dass ich und wir eine Menge Leute beeinflusst und unterhalten haben.»
Mit radikaler Selbstentblössung zur Musiklegende
Kurt Cobain war sich bewusst darüber, dass seine Fans nicht nur seine Musik liebten, sondern sich auch auf einer wesentlich tiefergehenden Ebene mit ihm identifizierten. Dass er noch heute einen derartigen Kultstatus besitzt, liegt nicht nur an der herausragenden Musik, die er während seiner kurzen Karriere mit seiner Band Nirvana in die Welt gebracht hat, sondern auch an der radikalen Ehrlichkeit, mit er sich und seine zutiefst widersprüchliche Persönlichkeit in seinen Songtexten immer wieder selbst thematisierte.
Kurt Cobain flüchtete sich nicht in abstrakte Metaphern, sondern benannte seine Lieder auch mal nach den Medikamenten, die er gegen die Auswirkungen seiner bipolaren Störung schlucken musste. So etwa bei dem Song «Lithium», in dem er sein inneres Dilemma in Zeilen wie «Ich liebe dich, ich werde nicht zerbrechen/Ich tötete dich, ich werde nicht zerbrechen» goss.
Rockstar ohne Ruhestätte
Fast unmittelbar nach Cobains Tod setzte ein Kult um den Sänger ein, der zuweilen groteske Auswüchse und Züge von Heiligenverehrung annahm. Die Stadtverwaltung von Seattle verweigerte dem Rockstar eine offizielle Beerdigung mit der Begründung, dass man in der Stadt keine Wallfahrtsstätte etablieren wolle, wie dies beim Grab des Doors–Sängers Jim Morrison in Paris der Fall sei. Als Konsequenz behielt die Witwe Courtney Love seine Asche einfach bei sich, begrub einen Teil davon auf dem Grundstück ihrer letzten gemeinsamen Wohnstätte und verstreute einen weiteren Teil in einem Fluss und in einem buddhistischen Tempel in New York.
Wie sich später herausstellen sollte, verstaute sie den Rest in einer rosafarbenen Teddy–Tasche, die sie immer wieder mit auf Partys oder Reisen nahm und ansonsten in ihrem Kleiderschrank lagerte. Als ihr diese Tasche im Jahr 2008 bei einem Einbruch gestohlen wurde, war sie einem Bericht des «Guardian» zufolge völlig ausser sich und sagte: «Ich kann es nicht glauben, dass mir jemand Kurts Asche weggenommen hat. Ich finde es abscheulich und möchte mich am liebsten umbringen. Ich weiss nicht, was ich mache, wenn ich sie nicht zurückbekomme. Das ist alles, was mir von Kurt geblieben ist. Ich hab ihn immer mit mir getragen, um das Gefühl zu haben, dass er immer noch bei mir ist.»
Wo Fans ihrem Idol nahe sind
Da es keine Grabstätte von Cobain gibt, suchten sich seine Verehrer andere Pilgerstätten, an dem sie der Rock–Ikone huldigen konnten, wie etwa den an sein letztes Wohnhaus in Seattle angrenzenden Viretta Park, in dem sich heute eine sogenannte «Kurt–Cobain–Bank» befindet.
Weitere Gedenkorte finden sich in Cobains verhasster Heimatstadt Aberdeen, wo seine Fans gerne zu der Young Street Bridge pilgern, unter welcher der Sänger nachweislich als Jugendlicher mit Freunden abhing und zeitweise auch gewohnt haben soll. Seit 2015 gibt es in dem Ort auch einen offiziellen «Kurt Cobain Memorial Park», zudem ist im Stadtmuseum eine reichlich kitschige Statue des Künstlers zu bewundern, die ihn mit Gitarre in den Händen und einer grossen Träne am Auge abbildet.
Smells like Verschwörungstheorie
Unmittelbar nach Cobains Ableben kamen diverse Verschwörungstheorien in Umlauf, die davon ausgingen, dass der Sänger keinen Selbstmord beging, sondern umgebracht wurde. Zu den Vertretern dieser These gehört nicht zuletzt Aberdeens Bürgermeister Bill Simpson, der von «CTV News» unter anderem mit der Aussage «Ich denke, er wurde ermordet, das glaube ich wirklich» zitiert wurde.
Zudem unternahmen verschiedene obskure Autoren den Versuch, Cobains Tod seiner Witwe Courtney Love in die Schuhe zu schieben, darunter auch Courtney Loves Vater Hank Harrison (1941–2022) höchstpersönlich, der 2017 das Buch «Love Kills. The Assassination of Kurt Cobain» auf den Markt brachte.
Bizarre Jagd nach Cobain–Reliquien
Ein weiterer bizarrer Aspekt des posthumen Cobain–Kults stellt die Jagd auf wie Reliquien gehandelte Gegenstände aus dem persönlichen Besitz des Verstorbenen dar. Nicht wenige Fans sind bereit, für solche Memorabilia unglaubliche Summen zu bezahlen.
So ging beispielsweise im Jahr 2019 Cobains ikonische olivgrüne Strickjacke, die er bei einer Aufzeichnung von «MTV Unplugged» trug, für 334.000 Dollar über den Tisch. Die Fender–Mustang–Gitarre, die er in dem Video von «Smells Like Teen Spirit» spielte, wechselte 2022 für 4,5 Millionen Dollar den Besitzer. Im Vergleich dazu waren die 14.000 Dollar, die 2021 bei der Auktion einiger Haarsträhnen des Rockheiligen bezahlt wurden, ein regelrechtes Schnäppchen.
Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111