«Blade Runner» von Sir Ridley Scott (84) ist eines der wenigen Filmwerke, die auf einer Romanvorlage basieren und dieser nicht nur gerecht werden, sondern sie gar zu übertreffen wissen. Den wunderschönen Buchtitel «Träumen Androiden von elektrischen Schafen?» von Philip K. Dick (1928-1982) mag man bei der Verfilmung aus Gründen der Sperrigkeit ausgetauscht haben. Als Sci-Fi-Dystopie trifft Film-Noir strotzt «Blade Runner» dennoch nur so vor vergleichbaren philosophischen wie existenzialistischen Fragen. Als der Streifen am 14. Oktober 1982 in den deutschen Kinos anlief, kam das allerdings noch nicht so gut an - der Weg zum Kultfilm war steinig.
Die Handlung von «Blade Runner» ist nicht leicht bekömmlich. Als Rick Deckard, eine Art Philip Marlowe des 21. Jahrhunderts, quält sich Harrison Ford (80) darin durch einen schmutzigen, überbevölkerten, gnadenlosen Moloch. Im ewigen Smog der Grossstadt wabern riesige Hologramm-Reklamen durch den Nebel, die meisten Tiergattungen sind schon längst vom Planeten gefegt, der Zuschauer kann den Unrat der gescheiterten Zukunfts-Zivilisation förmlich riechen.
Auch Fords Hauptfigur ist keine hehre - der «Blade Runner» hat die Aufgabe, abtrünnige Replikanten in den «Ruhestand» zu befördern. Replikanten, das sind von der mächtigen Tyrell Corporation hergestellte, künstliche Menschen, quasi für die Drecksarbeit und nichts anderes geschaffen. Um ihnen gar nicht erst die Möglichkeit zur Selbstentfaltung zu geben, wurde ihnen zudem eine begrenzte Lebensdauer von vier Jahren eingepflanzt.
Eine kleine Gruppe aus der hochmodernen Nexus-6-Serie begehrt dennoch auf. Unter ihrem Anführer Roy Batty (Rutger Hauer, 1944-2019) verstecken sich einige der optisch nicht von echten Menschen unterscheidbaren Replikanten auf der Erde. Doch je weiter Deckards Jagd auf den ebenso charismatischen wie wild entschlossenen Batty voranschreitet, umso mehr hinterfragt er sein Handeln - und erst recht seine eigene Existenz.
Die Suche nach dem perfekten Ende
Die ambivalente Figurenzeichnung in «Blade Runner» machte es den Kinozuschauern nicht leicht, sich mit dem vermeintlichen Helden der Geschichte zu identifizieren. Die visuell beeindruckende, jedoch deprimierende Optik des Streifens und sein für Interpretationen offener Handlungsverlauf taten ihr übriges. Kurzum: «Blade Runner» floppte an den Kinokassen, obwohl oder gerade weil das Filmstudio nicht an Scotts Vision glaubte und ein Happy End nebst unmotiviertem Voice-Over von Ford ans Ende klatschte.
Die unterschiedlichen Schnittversionen von «Blade Runner» allein würden genug Stoff für eine Doktorarbeit liefern. Nur so viel: Es gibt unter anderem die US- und International-Version von 1982, einen «Director‹s Cut» (1992) sowie einen «Final Cut» (2007). Erst bei der letztgenannten Ausgabe genoss Scott jedoch das komplette kreative Sagen. Die Erklärbär-Voice-Overs gehörten schon ab dem «Director›s Cut» der Vergangenheit an, das Happy End wich einem offenen Ende. Zudem beinhalten die neueren Versionen eine Szene mit einem Einhorn, die stark andeutet, dass Rick Deckard selbst ein Replikant sein könnte.
Ähnlich wie Jahre später bei einer anderen Romanverfilmung, «Fight Club» von David Fincher (60), mauserte sich «Blade Runner» über Videokassettenverkäufe und Ausleihen via Videothek doch noch zum Erfolg. Die philosophischen, gesellschaftskritischen und ethischen Lesearten des Films machten ihn zudem zu einem oft behandelten Werk in akademischen Kreisen.
Rutger Hauers Meisterleistung
Für viele stammt das Highlight von «Blade Runner» aus den Niederlanden und hört auf den Namen Rutger Hauer. Als todgeweihter Replikant Roy Batty hat der nicht nur eine Leinwandpräsenz, die es mit jener von Ford aufnehmen kann.
Die platinblonde Killermaschine meuchelt sich einerseits durch die so verhasste Menschheit und hält andererseits einen Shakespeare-würdigen Endmonolog über die Schönheit und Einzigartigkeit der Existenz. Mit einer weissen Taube in der Hand sagt er: «Gigantische Schiffe, die brannten, draussen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Zeit zu sterben».
Denis Villeneuves Kunststück
Als bekannt wurde, dass Regisseur Denis Villeneuve (55) 35 Jahre nach «Blade Runner» eine Fortsetzung drehen würde, schrillten trotz der mannigfach unter Beweis gestellten Qualität des Filmemachers die Alarmglocken. Das könne nur schiefgehen und das Erbe des Kultfilms beschmutzen, lautete die grosse Sorge. Doch Villeneuve strafte seine Kritiker Lügen und erschuf mit «Blade Runner 2049» einen Film, der dem Original visuell und narrativ gekonnt Tribut zollt, gleichzeitig aber auf eigenen Beinen zu stehen vermag.