Dass die sterblichen Überreste von Udo Jürgens (1934–2014) erst fast ein halbes Jahr nach seinem Tod am 21. Dezember 2014 beigesetzt wurden, hat mit seinem Grabstein zu tun. Und mit der Eigensinnigkeit eines Ausnahmekünstlers, der immer mehr sein wollte als ein seichter Schnulzensänger.
Der Entertainer war an einem Sonntagnachmittag bei einem Spaziergang mit seinem persönlichen Assistenten Billy Todzo (73) und seinem Hund Lucky urplötzlich zusammengebrochen und wurde nach erfolglosen Wiederbelebungsmassnahmen wenig später im Krankenhaus seines letzten Wohnortes Münsterlingen im schweizerischen Kanton Thurgau für tot erklärt.
Finale Tournee eines deutschsprachigen Weltstars
Nach seinem Tod ging die Asche des österreichischen Superstars auf eine letzte Tournee. Im Januar 2015 wurde die Urne in Wien, Zürich und Berlin aufgestellt, um seinen Fans die Möglichkeit zu geben, sich persönlich von ihm zu verabschieden. Zu diesem Zeitpunkt war Jürgens' hinterbliebene Familie bereits auf Hochtouren damit beschäftigt, dem letzten Willen des Sängers auf angemessene Weise entgegenzukommen. Dieser wollte nämlich unter keinen Umständen seine letzte Ruhestätte unter der Erde finden, auch nach seinem Ableben wollte er Teil des oberirdischen Weltgeschehens bleiben.
Diesem letzten Wunsch kam massgeblich sein jüngerer Bruder Manfred Bockelmann (81) entgegen. Der in Österreich sehr bekannte Maler und Fotograf übernahm den Entwurf einer Grabstätte, die dem Wunsch des Bruders Rechnung tragen und zudem dessen Status eines deutschsprachigen Weltstars monumental verdeutlichen sollte.
Bei der offiziellen Beisetzung der Urne des Verstorbenen am 9. Mai 2015 auf dem Wiener Zentralfriedhof wurde klar, warum unterdessen fast sechs Monate vergangen waren. Die Umsetzung des Grabstättenentwurfs durch den renommierten Bildhauer Hans Muhr (1934–2022) hatte eben seine Zeit gebraucht. Dabei handelte es sich um die rund sechs Tonnen schwere Skulptur eines mit einem Tuch verhüllten Konzertflügels, dessen Flanke der goldene Namenszug «Udo Jürgens» ziert. In der Mitte des Marmorblocks ist die Urne eingelassen und findet somit wie erbeten oberirdisch ihre letzte Ruhestätte.
Während sich an der ästhetischen Bewertung der marmornen Gruft absehbar die Geister schieden, schlug eine weitere Kuriosität um das Legendengrab mediale Wellen, die bei dem verstorbenen Künstler vermutlich für Amüsement und einige Genugtuung gesorgt hätte.
Falscher Liedtext auf goldener Grabplatte
Wie «Bild» seinerzeit berichtete, fand sich bereits bei der Beisetzung auf einer dem Marmorflügel vorgesetzten Grabplatte eine falsch zitierte Textzeile des Udo–Jürgens–Songs «Ich lass‹ Euch alles da» aus dem Jahr 1999. Statt der Zeile «Ihr seid das Notenblatt, das alles für mich war», war dort «Ihr seid das Notenblatt, das für mich alles war» zu lesen. Bei der umgehenden Neugravur schlich sich dann prompt ein weiterer Fehler ein. Nun hiess es in den weiteren Refrain–Zeilen statt «Ich lass› Euch alles – ich lass‹ Euch alles da» fälschlicherweise «Ich lass› Euch alles da – ich lass' Euch alles da». Auch dieser Fehler wurde umgehend korrigiert, sodass der Text auf der goldenen Grabplatte nun endlich korrekt wiedergegeben wird.
Denn Udo Jürgens kam es auf die Texte an, schliesslich war er nicht nur Interpret, sondern oft auch sein eigener Komponist und Songwriter. Wie «Bild» berichtet, war der Künstler hinsichtlich seiner Liedtexte stets sehr pedantisch. Und für seine Texte ging er in seiner langen Karriere ein hohes Risiko ein, um sich selber treu zu bleiben.
Kritischer Soundtrack zur bundesrepublikanischen Geschichte
Nach seinen musikalischen Anfängen im klassischen Schlagerbereich sprengte er später zunehmend die engen Grenzen des Genres und sprach in seinen Liedtexten oft aktuelle gesellschaftliche Themen an. Über die Jahrzehnte produzierte er so auch eine Art Soundtrack zur Geschichte.
Bereits in seinem wohl bekanntesten Hit «Griechischer Wein» aus dem Jahr 1974 geht es wesentlich tiefgründiger zu, als der zum Mitsingen einladende Refrain beim oberflächlichen Hören zunächst vermuten lässt. In dem Lied bediente Jürgens keineswegs die üblichen Schlager–Klischees über südländische Lebensfreuden, sondern thematisierte zum ersten Mal in seinem musikalischen Bereich mit grösster Empathie die Lebenssituation der sogenannten «Gastarbeiter», die sich abends in der Kneipe bei einem Glas Wein zurück in ihre Heimat sehnten.
Im folgenden Jahr verblüffte der Sänger mit der Veröffentlichung seines Songs «Ein ehrenwertes Haus», in dem er offen die Spiessigkeit der Nachkriegsgesellschaft anprangerte. Der Text thematisiert die bigotte Einwohnerschaft eines Mietshauses, die ein ohne Trauschein in «wilder Ehe» lebendes Paar aus dem Haus verbannen will.
Auch in zahlreichen weiteren Stücken nahm Jürgens bis zu seinem Tod immer wieder zu gesellschaftlichen Themen Stellung und machte dabei stets seinen eigenen moralischen Standpunkt klar.
Skandal um seinen Song
Im Jahr 1988 sorgte er mit einem dieser Songs sogar für einen waschechten Skandal. Mit dem Stück «Gehet hin und vermehret euch», in dem er angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung und der verheerenden Ausbreitung von AIDS das «Kondomverbot» des damaligen Papstes Johannes Paul II. (1920–2005) scharf kritisierte. Dies schlug in den konservativeren Kreisen der Bevölkerung schliesslich derartige Wellen, dass der Bayerische Rundfunk das Lied schliesslich für einige Zeit offiziell aus dem Programm nahm. Dass er mit seiner klaren gesellschaftspolitischen Botschaft einem Teil seiner Fangemeinde vor den Kopf stiess, war Udo Jürgens egal. Wie er in eigenen Aussagen immer wieder betonte, war es sein Anspruch, Unterhaltung auch mit Haltung zu verbinden.
Seine Tochter Jenny Jürgens (57), die mit ihrem Bruder John (60) das musikalische Erbe des berühmten Vaters verwaltet, erinnerte sich vor wenigen Tagen in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» an den Skandal um «Gehet hin und vermehret euch» und ging dabei auch auf die generelle sozialkritische Tendenz im Werk von Udo Jürgens ein.
Dort sagte sie: «Ich war 15 Jahre alt, als das Lied auf den Index kam und nicht mehr gespielt werden durfte, ich fand das total cool. Unser Vater kam ja aus dem Schlager und hat dann ein sicheres Schiff verlassen, das seine Familie ernährt und ihm alle Sicherheiten gegeben hat. Den Mut muss man erst mal haben.»
Politische Botschaften ohne Axt und Schreierei
Ihr Vater habe immer politisch sein wollen, sei dabei jedoch «nie mit der Axt losgegangen», sondern habe «ohne Schreierei und aufgeregtes Rumgefuchtel» seinen Standpunkt klargemacht. Mit diesem dezenten und behutsamen Vorgehen habe er am Ende viel mehr Menschen erreichen können, als mit einer brachialeren Vorgehensweise.
«Er wollte nie jemanden verletzen», so Jenny Jürgens. «Aber die Gräueltaten der Welt waren ihm sehr bewusst. Gegen Rassismus ist er verbal ganz klar aufgetreten. Der Arme würde heutzutage verzweifeln mit der AfD.» Auch zu Donald Trump (78) hätte ihr Vater klare Worte gefunden – und sie ohne «Rücksicht auf seine Karriere oder seinen Plattenverkauf» in seinen Liedern verarbeitet.