Die Filmfestspiele in Cannes sind am Abend des 25. Mai nach knapp zwei Wochen zu Ende gegangen. In der Abschlusszeremonie vergab die Jury unter dem Vorsitz von Regisseurin Greta Gerwig (40) die begehrten Preise. 22 Filme waren im Wettbewerb. Den wichtigsten Preis, die Goldene Palme, gewann der US–Regisseur Sean Baker (53) für seinen Film «Anora», eine wilde, stürmische Romanze zwischen einer exotischen Tänzerin (Mikey Madison) und dem superreichen Sohn eines russischen Oligarchen (Mark Eydelshteyn). Zuletzt hatte 2011 mit Terrence Malick (80) für «The Tree of Life» ein amerikanischer Filmemacher den Hauptpreis an der Croisette erhalten.
Gewinner widmet seinen Preis den Sexarbeiterinnen
«Anora» ist Bakers dritter Film, der in Cannes Premiere feiert, nach «The Florida Project» und «Red Rocket». Der 53–Jährige nahm den Preis von seinem Kollegen Francis Ford Coppola (85) entgegen, der zweimal die Goldene Palme gewann und in diesem Jahr für «Megalopolis» leer ausging. Coppola überreichte auch seinem Freund und legendären Kollegen George Lucas (80), den er als seinen «kleinen Bruder» bezeichnete, eine Ehrenpalme für sein Lebenswerk.
Baker widmete seinen Preis «allen Sexarbeiterinnen, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft» und betonte, wie wichtig es sei, «Filme zu machen, die für die Kinovorführung bestimmt sind». Er erklärte in seiner Dankesrede: «Sich mit anderen im Kino einen Film anzuschauen, ist eine grossartige Gemeinschaftserfahrung. Wir teilen Lachen, Trauer, Wut, Angst und erleben hoffentlich eine Katharsis mit unseren Freunden und Fremden. Deshalb sage ich, die Zukunft des Kinos ist dort, wo es begann: im Kino.»
Die indische Filmemacherin Payal Kapadia (38) nahm den Grand Prix – die zweithöchste Auszeichnung des Festivals – für «All We Imagine as Light» entgegen. Es ist der erste indische Film seit 30 Jahren, der für den Wettbewerb ausgewählt wurde. Er konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen drei Frauen aus Mumbai unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Gesellschaftsschicht.
Der Preis für das beste Drehbuch ging an die französische Regisseurin Coralie Fargeat (48) für die laut Jurymitglied Eva Green (43) «kühne, wunderschön verrückte» Schönheits–OP–Horrorshow «The Substance», in der Demi Moore (61) eine abgehalfterte Hollywood–Schönheit spielt und Margaret Qualley (29) die jüngere, perfektere Doppelgängerin.
Sammelpreis für die besten Schauspielerinnen
Moore galt als Favoritin in der Kategorie der besten Schauspielerin. Die Jury erweiterte diese jedoch überraschend zu einem Sammelpreis, um das zu feiern, was Lily Gladstone (37) in «Emilia Pérez» als «die Harmonie der Schwesternschaft» bezeichnete. Das in Mexiko spielende Musical, das vom ehemaligen Gewinner der Goldenen Palme Jacques Audiard (72) inszeniert wurde, handelt von einer Kartellbossin, die verschwindet, um als Frau wieder aufzutauchen. Ausgezeichnet wurden gleich vier Schauspielerinnen: Zoe Saldaña (45), Selena Gomez (31), Adriana Paz (44) und Karla Sofía Gascón (52). Der Film gewann auch den Jurypreis.
Die Auszeichnung als bester Schauspieler ging an Jesse Plemons (36), der in «Kinds of Kindness», einer surrealistischen Satire von «Poor Things»–Regisseur Yorgos Lanthimos (50), drei Rollen spielt – einen unterwürfigen Geschäftsmann, einen trauernden Polizisten und ein bisexuelles Sektenmitglied.
Sonderpreis für Mohammad Rasoulof
Die Jury schuf 2024 auch noch einen Sonderpreis – der am Samstagabend mit begeisterten Standing Ovations begrüsst wurde – für den iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof (52). Lange war nicht klar, ob er überhaupt nach Cannes kommen würde, er besuchte die Filmfestspiele schliesslich trotz grosser persönlicher Gefahr. Er war aus dem Iran geflohen, um einer achtjährigen Gefängnisstrafe für die Dreharbeiten des politischen Dramas "The Seed of the Sacred Fig" zu entgehen. Der dreistündige Film untersucht die jüngste Frauen– und Freiheitsbewegung des Landes anhand einer Mittelklassefamilie, deren zwei Töchter die Rolle ihres Vaters im Regime infrage stellen.
Der portugiesische Filmemacher Miguel Gomes (52) gewann den Regiepreis für «Grand Tour». Das Werk vermischt Schwarzweiss– und Farbaufnahmen, historische Nachstellungen und zeitgenössische anthropologische Einblicke und erzählt die Geschichte eines britischen Beamten aus dem frühen 20. Jahrhundert. Dieser versucht, seiner Verlobten zu entkommen, indem er von einem asiatischen Land ins Nächste reist.
Die Camera d'Or für den besten Erstlingsfilm ging an «Armand» des Norwegers Halfdan Ullman Tondel (geb. 1990). Die Produktion «Mongrel» von Chiang Wei Liang und You Qiao Yin wurde mit einer besonderen Erwähnung ausgezeichnet.
«Call My Agent»–Star Camille Cottin (45) moderierte die Preisverleihung. Zur Jury unter dem Vorsitz von Greta Gerwig gehörten der spanische Regisseur Juan Antonio Bayona (49), die türkische Schauspielerin und Drehbuchautorin Ebru Ceylan (48), der italienische Schauspieler Pierfrancesco Favino (54), die amerikanische Schauspielerin Lily Gladstone, der japanischen Regisseur Hirokazu Kore–eda (61), die libanesische Schauspielerin und Regisseurin Nadine Labaki (50) sowie die französischen Stars Eva Green und Omar Sy (46). Bereits zum Auftakt der Filmfestspiele war Schauspielerin Meryl Streep (74) mit der Goldenen Palme für ihr Lebenswerk geehrt worden.