Er ist der Grösste, sogar der Allergrösste! Von der Fachwelt wird er als «grösster lebender Komponist» bezeichnet, bisweilen auch als «Musical-Gigant». Das ist er ohne Zweifel: Seit Menschengedenken wird der Engländer Andrew Lloyd Webber (75) für Musicals, die fast jeder kennt, gefeiert. Am 22. März geht es ausnahmsweise mal nur um ihn und nicht um seine Musik: Dann wird Webber 75 Jahre alt.
Was, erst 75? «Seine Musicals, die zum Teil seit Jahrzehnten laufen, vermitteln das Gefühl, als sei er schon immer da gewesen», schrieb der «Tagesspiegel» anlässlich eines vergangenen Geburtstags. Und nach wie vor sind viele seiner Melodien im Kopf.
Andrew Lloyd Webber hat der Welt berühmte Musicals wie «Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat», «Jesus Christ Superstar», «By Jeeves», «Evita», «Cats», «Starlight Express», «Das Phantom der Oper», «Sunset Boulevard», «Whistle Down the Wind», «The Beautiful Game», «The Woman in White», «Love Never Dies» oder «Cinderella» beschert.
Er komponierte die offizielle Hymne der Olympischen Spiele in Barcelona (1992) und schrieb den Soundtrack zu den Filmen «Auf leisen Sohlen» und «Die Akte Odessa». Er hat, zusammen mit seinem Kollegen Gary Barlow (52), 2012 den Song «Sing» zum 60. Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. (1926-2022) komponiert und produziert. Und er gehört zu den wenigen Menschen, die Oscar, Golden Globe, Emmy-, Grammy- und Tony-Award gewonnen haben. Mehr geht nicht.
In seiner Familie drehte sich alles um Musik
Andrew Lloyd Webber und seine Londoner Familie dürften, wenn man so will, so etwas wie die Kronjuwelen in der überaus reichen englischen Tradition an zeitgenössischer Musik sein. Sein Vater William Lloyd Webber (1914-1982) war ein berühmter Komponist und Kirchenmusiker, der als Organist und Chorleiter in der Methodistenkirche Central Hall Westminster wirkte und später als Professor für Musiktheorie und Komposition Studenten ausbildete.
Die Mutter Jean Johnstone (1921-1993) war eine bekannte Pianistin. Der drei Jahre jüngere Bruder Lloyd Webber zählte zu den besten Cellisten des Landes und komponierte klassische Werke. Beide Webbers schufen 1978 das Klassik-Rock-Album «Variations» nach dem a-Moll-Capriccio für Violine von Niccolò Paganini.
In der Familie hat sich fast alles um Musik gedreht. «Meine Künstlereltern haben mich immer machen lassen. Mit sechs habe ich Klavier gespielt, erste Musikstücke geschrieben, und mein Vater hat eine Suite daraus gemacht... Als ich neun war, wurde sie veröffentlicht. Das hat er nur zugelassen, weil er musisches Talent bei mir wahrgenommen hat», erzählte Andrew Lloyd Webber in einem «Spiegel»-Interview.
Dennoch hat er sich nach dem Abitur im historischen Londoner Künstler- und Intellektuellen-Viertel Hampstead zunächst für ein Geschichtsstudium in Oxford eingeschrieben, das er jedoch bald aufgab, um an der berühmten Londoner Musikhochschule Royal College of Music (RCM) zu studieren, obwohl ihm sein Vater abgeraten hatte: «Geh' nicht aufs Royal College, man wird dir dort die Freude an der Musik austreiben!»
Das war schon eigenartig, weil der Vater dort nicht nur Professor, sondern auch Direktor war. William Lloyd Webber war der Ansicht, dass die Musik seines Sohns Andrew aus einem Instinkt heraus entstand, nicht aufgrund musikalischer Ausbildung. Andrew Llyod Webber später: «Ich ging trotzdem hin. Erst am Ende seines Lebens sagte er mir, dass ihm meine Musik gefiel.»
Das war 1982. Zu diesem Zeitpunkt war der Sohn längst ein gefeierter Musical-Star. Nach dem Tod des Vaters schrieb er für ihn ein Requiem, das in Los Angeles mit einem Grammy für die beste klassische zeitgenössische Komposition ausgezeichnet wurde.
Den Geschmack der Masse getroffen - immer wieder
Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) urteilte über das Phänomen Lloyd Webber: «Wenn es eine Kunst ist, den Geschmack der Masse zu treffen, ihn vielleicht sogar zu prägen, dann ist Andrew Lloyd Webber ihr vermutlich grösster Meister. Seine Musicals liefen über Jahrzehnte im Londoner West End und am Broadway in New York. Sie wurden zu Spekulationsobjekten, für die die Produzenten an vielen Orten der Welt, an denen die Stücke bald gezeigt wurden (oft in eigens gebauten Theatern), hohe Wetten eingingen, um meist glänzende Gewinne einzufahren.»
Als beispielweise 2001, nach 15 Jahren, die letzte Vorstellung von «Cats» in Hamburg über die Bühne ging, hatten allein dort sechs Millionen Zuschauer das Stück gesehen, überwiegend Touristen, die für den Musicalbesuch die Hansestadt besuchten.
Das «Phantom der Oper» nach dem Roman des Franzosen Gaston Leroux wurde seit der Uraufführung 1986 in London in 17 Sprachen, in 183 Städten und von 145 Millionen Menschen gesehen. Am Broadway wurde die Show vor vier Wochen eingestellt - nach einer Laufzeit von 35 Jahren (acht Vorstellungen/Woche). Das Musical hatte allein in New York 19,8 Millionen Zuschauer und spielte nach Angaben der Broadway League 1,3 Milliarden Dollar ein.
«Starlight Express» läuft seit 1988 in einem eigens dafür gebauten Theater in Bochum. Damals regten sich Kritiker über die Kosten von 24 Millionen D-Mark für einen angeblich unrentablen Bau auf. Bislang haben über 18 Millionen die Bochumer Inszenierung gesehen.
«Was für ein eminenter Wirtschaftsfaktor in seinen Stücken steckt, muss Lloyd Webber recht bald aufgefallen sein», analysierte die «FAZ». Er gründete das Unternehmen The Really Useful Group, «eine wirklich nützliche Aktiengesellschaft, die sich bis heute um den Vertrieb und die Rechteverwaltung seiner Stücke kümmert».
Die Erfolgszahlen lassen auf ein Riesengeschäft schliessen, doch die «Frankfurter Rundschau» schrieb vor Jahren: «Wie genau die Finanzlage des Erfolgskomponisten aussieht, ist nicht ganz klar. Mal wird der gebürtige Londoner auf der Liste der reichsten Männer Grossbritanniens geführt, dann wieder ist von Schwierigkeiten die Rede. Mit seiner Gesellschaft The Really Useful Group [...] übernahm er auch grosse Musiktheater in London, musste sie aber zum Teil auch wieder verkaufen. Er selber bezeichnete sich einmal als ‹sehr, sehr schlechten Geschäftsmann›.»
Reicher als Paul McCartney?
Wie dem auch sei: Die «Sunday Times» hat vor zwei Jahren Lloyd Webbers Vermögen auf 900 Millionen Euro geschätzt, damit dürfte er - noch vor Paul McCartney (80) - der reichste Musiker Grossbritanniens sein, trotz zwei Scheidungen (1983, 1990). Seit 1991 ist er mit seiner dritten Frau Madeleine Gurdon verheiratet, das Paar hat drei Kinder.
Eigentlich ist ihm das Meiste im Leben gelungen. Er wurde 1992 von der Queen zum Ritter geschlagen, 1997 als Baron geadelt mit einem Sitz für die Tories im House of Lords (Oberhaus), auf den er aber 2017 als entschiedener Brexit-Gegner verzichtete. Und er hat Rückschläge verwunden: eine Prostatakrebs-Erkrankung und ein schweres Rückenleiden. Auch die Londoner Absetzung seines Musicals «Cinderella» wegen der Corona-Pandemie zählt er dazu.
Selbst die grottenschlechte Verfilmung seines Musicals «Cats» hat er überstanden. Dank seines britischen Humors - und eines Hundes, den er sich gekauft hatte, weil ihn der Film so entsetzte. Das Tier dürfe ihn nun sogar in der Flugzeugkabine begleiten, erklärte er dem Magazin «Variety».
Er habe der Airline geschrieben, dass der wuschelige Havaneser sein Therapiehund sei. Die Fluggesellschaft schrieb: «Können Sie beweisen, dass Sie ihn wirklich brauchen?» Seine Antwort: «Ja! Schauen Sie sich an, was Hollywood meinem Musical ‹Cats› angetan hat!» Daraufhin sei ihm mit dem Vermerk ‹Kein ärztliches Gutachten erforderlich› erlaubt worden, den Hund mit ins Flugzeug zu nehmen.
Schicksalsschlag kurz vor dem Geburtstag
Kurz vor seinem 75. Geburtstag hat der Komponist nun aber einen schweren Schicksalsschlag in der Familie öffentlich gemacht: Andrew Lloyd Webbers Sohn Nicholas (43) ist schwer an Krebs erkrankt. «Ich bin zutiefst erschüttert, dass mein ältester Sohn Nick lebensgefährlich erkrankt ist», sagte er Mitte März in einem Statement, das «The Hollywood Reporter» vorliegt.
«Wie meine Freunde und meine Familie wissen, kämpft er seit 18 Monaten gegen Magenkrebs», so Andrew Lloyd Webber weiter. «Nun liegt Nick im Krankenhaus. [...] Wir beten alle dafür, dass Nick die Kurve kriegt», heisst es weiter in der Erklärung. «Er kämpft tapfer mit seinem unbeugsamen Humor, aber im Moment ist mein Platz bei ihm und seiner Familie.» Da er bei seinem Sohn in der Klinik weilt, verpasst Andrew Lloyd Webber die Broadway-Premiere seines neuen Musicals, «Bad Cinderella».