In Deutschland dürfen 14– bis 16–Jährige in Anwesenheit ihrer Eltern offiziell Bier und Wein konsumieren. Die Idee dahinter: Wenn Minderjährige Alkohol kontrolliert kennenlernen, wird ihr Umgang damit bewusster. Das sehen aber nicht alle so. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte im Juli an, er wolle das sogenannte «begleitete Trinken» abschaffen. Die Anwesenheit von Erwachsenen ändere nichts daran, dass Alkohol für Kinder schädlich sei, sagte er. So sieht es auch Dr. Reingard Herbst, Chefärztin der Nescure–Privatklinik am See. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt sie, wie sich Alkohol auf Kinder auswirkt und wie oder ob Eltern einen gesunden Umgang fördern können.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte vor Kurzem die Abschaffung des sogenannten «begleiteten Trinkens» für Jugendliche unter 16. Was halten Sie von der weitverbreiteten Praxis? Welche Folgen könnte das Trinken unter Aufsicht der Eltern für Jugendliche haben?
Dr. Reingard Herbst: Als Mutter von zwei erwachsenen Kindern kann ich verstehen, dass Eltern die Hoffnung haben, dass ihr Kind zukünftig vernünftig mit Alkohol umgehen kann. Doch wie sich die Grundeinstellung des Kindes entwickelt, liegt in der Regel nicht in der Hand der Eltern. Vielmehr kann eine mögliche Folge von «begleitetem Trinken» sein, dass Jugendliche Alkohol als ungefährlich und als gesellschaftlich anerkannt bis erwünscht einstufen.
Trägt das kontrollierte Trinken mit den Eltern nicht dazu bei, eine gesündere Einstellung zu Alkohol zu entwickeln?
Dr. Herbst: Aus Sicht der Eltern ist das vielleicht der Wunsch, der dahintersteht. Aus Sicht der erfahrenen Medizinerin hängt die Einstellung zum Alkohol von vielerlei Faktoren ab und nicht nur davon, wie und ob Alkohol in der Herkunftsfamilie getrunken wird.
Auch, ob die Einstellung der Eltern zum Alkohol grundsätzlich als gesund zu bezeichnen wäre, ist dahingestellt. Alkohol ist ein Zellgift; allein diese Aussage lässt eine «gesunde» Einstellung fragwürdig erscheinen. Natürlich wollen die Eltern einfach zeigen, dass Alkohol in Massen getrunken werden kann und dies gesellschaftlich toleriert ist. Sie möchten ihren Kindern wahrscheinlich hier etwas Gutes vorleben. Aber das ist nur ein Aspekt, der den Stein ins Rollen bringen könnte, aber nicht muss.
Welche gesundheitlichen Risiken birgt der Alkoholkonsum speziell für Jugendliche, deren Körper und Gehirn sich noch in der Entwicklung befinden?
Dr. Herbst: Alkohol wirkt sich vor allem, wie übrigens auch Cannabis, auf das sich entwickelnde Gehirn negativ aus. Alle Körperzellen können bereits durch wenig Alkohol geschädigt werden. Die Haut wird fahler, der Magen–Darmtrakt wird gereizt, Verdauungsstörungen treten auf, Stimmungsschwankungen können dazu kommen.
Wie unterscheidet sich die Wirkung von Alkohol auf das jugendliche Gehirn im Vergleich zu Erwachsenen, und welche langfristigen Folgen kann das haben?
Dr. Herbst: Langfristig sind die Gehirnveränderungen durch Alkoholkonsum bei Jugendlichen und Erwachsenen gleich, die Kognition leidet immer mehr. Allerdings ist es für ein noch nicht komplett entwickeltes Gehirn tatsächlich schwieriger, den Giftstoff zu verarbeiten: Hirnzellen werden nicht weiter verknüpft, neue Wege nicht oder schlechter angelegt. Damit sind Denkprozesse und Konzentration schon früh möglicherweise verändert.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen frühem Konsum von Alkohol und späterer Alkoholabhängigkeit oder anderen Suchterkrankungen?
Dr. Herbst: Allein der frühe Konsum ist nicht der einzige Grund für eine spätere Abhängigkeit oder andere Süchte. Jedoch ist der Weg geebnet, die Hemmschwelle früh herabgesetzt. Wenn dann noch weitere Faktoren, wie z.B. Minderwertigkeitsgefühle, wenig tragfähige Bindungen oder genetische Prägungen dazukommen, kann früher Konsum tatsächlich zu Folgeproblemen der Abhängigkeit führen.
Sollte das Mindestalter für Alkohol generell angehoben werden? Was stufen Sie als «ideales» Alter ein?
Dr. Herbst: Aus Sicht einer Ärztin kann man das Mindestalter für Alkohol gerne anheben. Ob diese Massnahme Wirkung zeigen würde, können Studien oder Erfahrungswerte in anderen Ländern eventuell zeigen.
Ein ideales Alter kann ich nicht definieren. Es gibt ja auch kein Alter für «Vernunft und Einsicht.»
Was können Eltern tun, um ihren Kindern einen gesunden Umgang mit Alkohol beizubringen bzw. vorzuleben?
Dr. Herbst: Alkohol nicht ständig zur Verfügung haben, ihn nicht als normal in den Alltag integrieren, ihn nicht «wichtig» machen und den Alkoholkonsum am besten selbst gar nicht vorleben.