Wenn am 28. September die Netflix-Produktion «Blond» beim Streamingdienst erscheint, dürfte sich die im Vorfeld angestaute Kontroverse um den Film vor allem bei Fans der Hauptfigur potenzieren. Für manche mag der fast drei Stunden lange Streifen über das tragische Leben von Marilyn Monroe (1926-1962) auf den ersten Blick den Eindruck eines reinrassigen Biopics erwecken. Er ist jedoch - wie seine gleichnamige Romanvorlage von Joyce Carol Oates (84) - eine Melange aus Fakt und reichlich Fiktion. Und die hat es zum ersten «Ab 18»-Stempel eines hauseigenen Netflix-Films geschafft.
Flucht in die Kunstfigur - darum geht es
«Blond» erzählt die Geschichte eines zutiefst traumatisierten Mädchens, das zu einer zutiefst traumatisierten Frau heranwächst: Norma Jeane Mortenson, später Baker, gespielt von Ana der Armas (34). Als Tochter einer psychisch labilen Mutter wird sie zwischen Pflegeheimen und Pflegefamilien hin- und hergeschoben. Doch während sie sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt, wird sexueller Missbrauch durch ältere Männer ihr steter Begleiter.
Das ändert sich auch nicht, als Baker mit ihrer Kunstfigur Marilyn Monroe Hollywood erobert. Vor der Kamera ist sie das Sex-Idol, der Superstar. Abseits der Traumfabrik versucht sie, die Lücke zu schliessen, die ein nie für sie dagewesener Vater hinterlassen hat - und landet deswegen in einer toxischen Beziehung nach der anderen.
Die Realität ist nur ein Vorschlag
Der Film von Andrew Dominik (54) hält sich inszenatorisch an die über 1.000 Seiten starke Buchvorlage von Oates. Soll heissen, er vermengt reale Stationen und Vorfälle im Leben von Marilyn Monroe mit kursierenden Gerüchten und lupenreiner Fiktion, ohne zwischen ihnen zu differenzieren. Dabei sind es die expliziten, schonungslosen und verstörenden Sex- und Vergewaltigungszenen, die auch ausserhalb der prüden USA für die höchste aller Altersfreigaben sorgen.
Um aufzuzeigen, wie kontrovers «Blond» zuweilen ausfällt, greifen diverse Medien eine Szene heraus. In ihr wird Monroe demnach von US-Präsident John F. Kennedy (1917-1963) vergewaltigt. Also von jenem Mann, mit dem ihr in der Realität eine Affäre nachgesagt wurde und dem sie 1962 «Happy Birthday, Mister President» hauchte.
Wer von «Blond» eine romantisierte Form eines Biopics der Marke «Bohemian Rhapsody» - der es selbst nicht streng mit der Realität hält - erwartet, wird nicht nur enttäuscht, sondern regelrecht entsetzt von Dominiks Film sein. Wo andere Streifen die künstlerische Freiheit zur Beschönigung, zur Glorifizierung nutzen, geht «Blond» den gegensätzlichen Weg.