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Neues Buch «Lasst uns streiten!»

Birte Karalus: Das verpassen Paare, die nicht streiten

Birte Karalus plädiert in ihrem Buch «Lasst uns streiten!» dafür, dass wir uns auseinandersetzen, um zusammenzufinden. Im Interview erklärt die Talkerin, warum Streit wichtig ist und was Menschen verpassen, die ihm aus dem Weg gehen.

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Birte Karalus hat im September ihr neues Buch «Lasst uns streiten!» veröffentlicht.
Birte Karalus hat im September ihr neues Buch «Lasst uns streiten!» veröffentlicht. (c) Manfred Baumann

«Streit ist ein Beziehungsverstärker»: Journalistin und Talkerin Birte Karalus (58) erklärt in ihrem Buch «Lasst uns streiten! Wie Auseinandersetzungen uns wieder zusammenbringen» (Ariston), wie wichtig Streit ist. Die Kommunikationsexpertin, die durch die RTL–Talkshow «Birte Karalus» bekannt wurde, erklärt im Interview mit spot on news, was Paare, die nicht streiten, verpassen, welche Haltung für konstruktive Auseinandersetzungen wichtig ist und wie man erkennt, dass es zwecklos ist, mit einem Gegenüber zu streiten.

Liebe Frau Karalus, Ihr neues Buch heisst «Lasst uns streiten!». Worüber haben Sie sich zuletzt gestritten?

Birte Karalus: Zurzeit, mein täglich Brot: der Streit darüber, wie wichtig das Auseinandersetzen ist, um miteinander gut auszukommen. Dass wir dringender denn je eine konstruktive Streitkultur brauchen und dass «rosarot», also die Konfliktvermeidung, das Übel ist, das uns im Miteinander und in der Entwicklung blockiert.

Was hat Sie dazu veranlasst, mit Ihrem Buch eine Lanze für das Streiten zu brechen?

Karalus: So paradox es sich auch anhören mag: Streit ist ein Beziehungsverstärker, der helfen kann, den immer rauer werdenden Umgang miteinander im Alltag – und zwar über alle Ebenen hinweg – zu beruhigen. Zum anderen ist Streit ein Innovationsmotor, ein Blockade–Auflöser, ein Antwortgeber etc. Meine Wahrnehmung ist, dass wir eher konfliktscheu auf der einen und polarisierend auf der anderen Seite sind. Heisst: Wir bevorzugen (Pseudo–)Harmonie und Streitvermeidung, was wertvolle Zeit für Lösungen und Innovation raubt und machen es uns auf der anderen Seite leicht durch Vereinfachung, Pauschalierungen, Polarisierungen und Schuldzuweisung.

Auseinandersetzen also, um Antworten auf Sachfragen zu finden und ein gesellschaftliches Vakuum zu schliessen, das sich anstelle von Gemeinschaft auftut.

Sie schreiben, Streiten habe ein Imageproblem. Viele Menschen verbinden Streit mit negativen Emotionen wie Wut. Wie schafft man es, diese Emotionen beim Streiten aussen vor zu lassen und ein für beide Seiten gutes Ende zu finden?

Karalus: Wir kennen das doch alle: Irgendwann wird es einem zu viel und dann ist es egal, ob es sich um den falschen Zeitpunkt oder den falschen Ort handelt; dann heisst es Ohren zu und verbal draufhauen. Eine verlorene Situation, da das Gegenüber meist von diesem Frontalangriff so überrascht ist, dass «zurückgefeuert» wird, was meist kein gutes Ende nimmt.

Wehret den Anfängen! Dass die eigene Warnlampe schon länger leuchtet, ist uns bewusst. Wir unterdrücken allerdings unsere Probleme, die dann ihren Weg unter dem imaginären Teppich hervorfinden und dazu führen können, dass die eigene Gefühlswelt sich explosionsartig entlädt; so eskaliert Streit.

Rechtzeitig einen Schritt zurücktreten, sich Zeit nehmen und reflektieren, was der vermeintliche Stör– bzw. Streitfaktor ist, der eine Klärung, eine Auseinandersetzung mit dem «Anderen» benötigt, vermeidet solche Eskalationen. Auch die eigenen Triggerpunkte zu kennen, die uns automatisch gegen die Wand fahren lassen, ist hilfreich. Dann lieber eine Auszeit nehmen und nochmals neu ansetzen – das kann Wunder bewirken.

Wie kann man konstruktives Streiten im Alltag trainieren? Was sind die wichtigsten Regeln dafür?

Karalus: Der Schlüssel ist nicht so sehr Technik, sondern Haltung. Beim konstruktiven Streiten sollte die Auflösung des Konflikts im Fokus stehen und nicht das Gewinnen. Wie gehe ich grundsätzlich auf mein Gegenüber zu? Habe ich Interesse an seiner Perspektive, an seiner Meinung, an seinem Anderssein? Kann ich mir vorstellen, dass am Ende des Konflikts ein besseres Miteinander möglich ist? Diese Haltung gilt es im Alltag zu trainieren – nicht erst in strittigen Situationen. In Meinungsverschiedenheiten liegt mehr Potential, als man glaubt, und sie sollten weniger als Bedrohung angesehen werden.

Die wichtigsten Regeln: Der andere hat ein Recht, auf seine – andere – Meinung. Unterschiedliche Perspektiven zusammengebracht, können einen enormen Nährboden für kreative Lösungen sein. Konzentration auf gemeinsame Ziele, aktives Zuhören, auf der Sachebene bleiben, Ideen kritisieren und nicht den Menschen – somit kommen wir alle ein grosses Stück gemeinsam voran.

Es gibt Menschen und Paare, die grundsätzlich versuchen, Streit aus dem Weg zu gehen. Was verpassen diese?

Karalus: Einfach gesagt, sie verpassen sich kennenzulernen. Man kann auch von Desinteresse am Anderen sprechen, wenn man jeglicher Konfrontation aus dem Weg geht. Ein durchlebter Streit hingegen kann Paare sehr zusammenschweissen. Wie viele Missverständnisse bleiben bestehen, wie viele Wünsche unerfüllt, weil man den sogenannten «Elefanten im Raum» nicht ansprechen will, um bloss keinen Ärger hervorzurufen.

Erzwungene Harmonie kann sehr belastend sein. Unterdrückte Konflikte verschwinden ja nicht einfach. Sie poppen irgendwann hoch, meist zu einem ungünstigen Zeitpunkt, und dann kann aus einem einfachen Problem eine unabwendbare Krise werden. Die Trennungsrate nach der Ferienzeit oder nach den Feiertagen ist besonders hoch. Denn dann ist Hochkonjunktur für Beziehungsstress, weil man sich schlechter aus dem Weg gehen kann. Hier entlädt sich dann lang angesammelter Kummer und kann zu einem finalen Countdown führen.

Wie erkennen Sie, dass es zwecklos ist, mit einem Gegenüber zu streiten?

Karalus: Wenn der andere nicht will und vielleicht auch nicht kann – dann macht es keinen Sinn. Das erleben wir intensiv bei «Gesprächen» mit Anhängern von Verschwörungsideologien. Diese Theorien bieten Halt, geben Gemeinschaft und «erklären» die Welt. Dafür wird hart gekämpft und man geht nicht das Risiko ein, diese Weltanschauung ins Wanken zu bringen. Diese Angst vor Veränderung lässt einen offenen Dialog nicht zu. Die Kommunikation findet nur in einer Richtung statt und blockiert eine kreative Auseinandersetzung. Die Steigerung der Abwehr geht dann in persönliche Verletzungen und Kränkungsversuche über: Hier ist spätestens der Zeitpunkt sich einzugestehen, dass eine Klärung nicht möglich ist. Man muss nicht jeden Kampf kämpfen.

Wie können Eltern oder Lehrer dafür sorgen, dass Kinder lernen, konstruktiv zu streiten?

Karalus: Wenn ich mich für eine effektive Lösungsstrategie entscheiden müsste, wäre es das Zuhören. In ihr liegt eine enorme Verständigungskraft. Somit würde ich allen Lehrern und Eltern ans Herz legen, aktives Zuhören in die Erziehung mit aufzunehmen. Positiver Nebeneffekt: Die Erwachsenen müssten sich auch selbst damit beschäftigen. Im Angelsächsischen gibt es darüber hinaus Debattierkurse an den Schulen und Universitäten. Positionen werden zugelost und die Schüler oder Studenten müssen Argumentationen für diese finden, losgelöst von der eigenen Überzeugung. So kann man früh erkennen, dass es unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Sache gibt. Ich erwähne auch gerne folgendes Beispiel: Stellen sie zwei Personen gegenüber, in der Mitte liegt ein Blatt mit der Ziffer sechs. Nun lassen sie beide Personen die Position des anderen einnehmen und schon wird aus der sechs eine neun, nur durch den Perspektivwechsel.

Aktives Zuhören und kreative Lösungsfindungen kann man aber schon zuhause lernen. Es stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder immens und macht sie zu echten Teamplayern.

«Wir brauchen eine neue Streitkultur der Freundlichkeit!», fordern Sie. Wie lässt sich «die meist schweigende Mitte der Gesellschaft» zum Streiten bewegen?

Karalus: Ich werde nicht müde dafür zu plädieren, sich die Chance auf ein gutes, sicheres, friedliches Miteinander nicht aus den Händen nehmen zu lassen. In meiner Kindheit habe ich immer ganz fasziniert eine Holzschnitzerei der berühmten «Drei Affen» angeschaut, die mein Vater aus Japan mitbrachte. Mir war nicht klar, was das sollte: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen; – dass entsprach so gar nicht meinem Temperament. Heute holen die Affen mich wieder ein. Sie waren lange das Symbol dafür, um im Frieden zu leben: sich eben aus allem raushalten.

Viele glauben, dass dies auch heute der Weg ist, um unbeschadet schwerere Zeiten zu überstehen. Ich glaube nicht daran. Dazu sind die Ränder der Extremen zu laut und sie schränken das Leben der Mitte immer mehr ein. Scheinriesen eben, durch das Schweigen der grossen Masse. Wir müssen ins Handeln kommen und müssen schauen, auf welche Spielregeln und Werte wir uns einigen können. «Was soll ich schon ausrichten?» ist eine klassische Reaktion, die ich dann zu hören bekomme. «Viel» – ist meine Antwort, wie ein einzelner Dominostein eine ganze Kette in Gang setzen kann oder ein einzelnes kleines Rädchen eine ganze Maschine blockiert. Wir alle tragen zum Klima des Miteinanders bei – auch wenn wir schweigen und wegschauen. Es ist unsere Entscheidung, die wir jetzt treffen müssen, wie wir miteinander leben wollen. Das lässt sich nicht delegieren und findet überall statt: zuhause, beim Nachbarn, in der Schule, im Strassenverkehr, am Arbeitsplatz.

Sie plädieren dafür, dass wir uns auseinandersetzen, um zusammenzufinden. Mit welchem Gefühl blicken Sie in die Zukunft? Wird sich ein fairer Dialog an die Stelle von Polarisierung setzen können?

Karalus: Im Grunde wissen wir alle: Wenn wir es uns einfach machen und auf simple Erklärungen für hochkomplexe Vorgänge vertrauen, kann das zum Totalschaden führen. Wir wissen, dass wir mit Verallgemeinerungen, Polarisierungen, Schuldzuweisungen etc. unsere Probleme nicht lösen werden. Auch nicht mit wegschauen. An diesem Punkt stehen wir jetzt und entscheiden, wie wir weitermachen wollen. Sich einbringen und mitentscheiden oder das Leben delegieren. Lasst uns streiten – damit wir zueinanderfinden!

Von SpotOn am 9. Oktober 2024 - 17:33 Uhr