Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson (60) gilt als eine der schillerndsten und polarisierendsten Figuren der internationalen Politiklandschaft. Während seine Anhänger ihn als unkonventionelles und humorvolles Ausnahmetalent wahrnehmen, der mit zielgerichtetem Pragmatismus die Dinge in die Hand nimmt, verdammen ihn seine Gegner als rücksichtslosen Populisten, der es mit gezielten Unwahrheiten bis ganz nach oben schaffte.
Dass Johnson am 6. September 2022 im Zuge der sogenannten «Partygate»–Affäre, bei der es um heimlich abgehaltene Partys in seinem Amtssitz während des Corona–Lockdowns ging, nach einem Misstrauensvotum seiner eigenen Partei seinen Posten als Premierminister räumen musste, passt für seine Kritiker dabei perfekt ins Bild.
Populistische Aufwärmphase im Journalismus
Bereits auf seinem Karriereweg vor dem Sprung ins höchste politische Amt sorgte der am 19. Juni 1964 als Alexander Boris de Pfeffel Johnson in New York City geborene Politiker und Publizist immer wieder für Kontroversen und Skandale. Berichten zufolge wurde Johnson schon bei seiner ersten Station als Journalist, während eines Praktikums bei der «Times», entlassen, weil er ein Zitat verfälschte.
Während seiner Zeit als Brüsseler Korrespondent des britischen «Daily Telegraph» in den Jahren 1989 bis 1994 soll er angeblich Berichte über absurde EU–Regulierungen frei erfunden haben, um damit die Stimmung bei den Lesern des konservativen Blattes anzuheizen, so die Gerüchte. Auch als späterer Herausgeber des konservativen Wochenblatts «The Spectator» sorgte er mit seinen reisserischen Kolumnen immer wieder für Skandale. Beispielsweise als er 2004 Liverpooler Fussballfans eine Mitschuld an der Hillsborough–Katastrophe von 1989, einem schweren Zuschauerunglück im Sheffielder Hillsborough Stadium mit 97 Toten, unterstellte oder 2006 behauptete, dass die Einwohner von Papua–Neuguinea für Kannibalismus bekannt seien.
Aufstieg zum Politik–Star als Londons Bürgermeister
Seine erste grössere politische Position bekleidete Boris Johnson zwischen 2008 und 2016 als Bürgermeister von London. In dieser Zeit erwarb sich der mittlerweile von der Boulevardpresse liebevoll «BoJo» genannte Tory–Politiker mit hemdsärmeligen Projekten, wie etwa der Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs mit neuen Doppeldeckerbussen, elektronischen Fahrkartensystemen und Programmen zur Förderung des Fahrradverkehrs, zeitweise durchaus grosse Sympathien in der Bevölkerung.
Doch auch in dieser Position schien er seine Neigung, Fakten zu seinen Gunsten zu verdrehen, nicht vollständig ablegen zu können. Er sorgte unter anderem für einen Eklat, als er behauptete, dass die Zahl der Polizeibeamten unter seiner Führung gestiegen sei, obwohl sie in Wahrheit gesunken war.
Brexit–Befürworter Boris Johnson
Johnsons wohl folgenschwerste Flunkereien ereigneten sich im Kontext der «Vote Leave»–Kampagne im Vorfeld des EU–Referendums im Jahr 2016. Als einer der prominentesten Befürworter eines EU–Austritts fuhr er wochenlang mit einem roten Bus durchs Land, um die Trommel für den sogenannten «Brexit» zu rühren. Auf den Seiten des Busses prangte dabei die – Zeitungsberichten zufolge später nachweislich als frei erfunden nachgewiesene – Behauptung, dass Grossbritannien wöchentlich eine Summe von 350 Millionen Pfund an die EU zahle, die wesentlich besser zur Finanzierung des maroden Gesundheitssystems verwendet werden sollte.
Auch nach seinem Rücktritt als Premierminister scheint Boris Johnson, der sich Medienberichten zufolge derzeit Buchprojekten widmen und gegen hohe Geldbeträge als Redner betätigen soll, nichts von seiner populistischen Bissigkeit eingebüsst zu haben. Kurz vor der britischen Parlamentswahl am 4. Juli 2024, bei der der amtierenden Tory–Regierung unter der Führung von Premierminister Rishi Sunak (44) aktuellen Umfragen nach eine verheerende Niederlage bevorsteht, feuert er auf der Plattform X und in seiner wöchentlichen Kolumne für die «Daily Mail» aus allen Rohren gegen die sozialdemokratische Labour–Partei von Keir Starmer (61).
Plant Johnson ein politisches Comeback?
Während der Ex–Premier auf X bei einem Sieg der Labour–Partei nichts Geringeres als den Weltuntergang («Starmergeddon») heraufbeschwört, schürt er in seiner Zeitungskolumne mit unkonventioneller Wortwahl Ängste vor den Konsequenzen einer Wahlniederlage der Tories. Dort schreibt er: «Sir Keir Schnorrer plant, sich so leise wie Larry die Katze in die Nr. 10 zu schleichen – und uns dann wieder in den Brüsseler Kerker zu sperren, wie einen eierkauenden Krüppel.»
Ob Boris Johnson im Falle einer Wahlniederlage seiner Partei einen Comeback–Versuch starten könnte, ist bislang unklar. Dem britischen «Guardian» zufolge werden die Stimmen innerhalb der konservativen Partei, die sich unter dem Motto «Bring back Boris» für eine Wiederbelebung ihres einstigen Zugpferdes engagieren, jedenfalls immer lauter.