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Neues Album «Millennium Symphony»

David Garrett: «Arroganz ist auf der Bühne völlig fehl am Platz»

David Garrett veröffentlicht sein neues Album «Millennium Symphony». Im Interview erzählt der Musiker, was an der Platte anders ist, wie er zu den Charts steht und mit welchem Objekt er seine Geige vergleichen würde. Ausserdem spricht er über sein anstrengendes Tour–Leben.

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David Garrett meldet sich mit einem neuen Album zurück.
David Garrett meldet sich mit einem neuen Album zurück. imago/HANZA MEDIA

16 Studioalben hat David Garrett (44) im Laufe seiner Karriere veröffentlicht und zahlreiche Stücke darauf mit seiner Geige zum Klingen gebracht. Am 18. Oktober werden es 17, denn dann erscheint sein neues Werk «Millennium Symphony». Der Titel ist Programm: Der Musiker interpretiert die grössten Hits der letzten 25 Jahre neu. «Es ist ein sehr frisches Album», schwärmt Garrett. Im März 2025 startet die gleichnamige Tour.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verrät Garrett, welche Musik bei ihm privat läuft und was seine Geige mit einem Auto gemeinsam hat. Auch, dass das Tourleben nicht immer einfach ist und wieso Egoismus auf der Bühne nicht hilfreich ist, erzählt das Jahrhunderttalent.

Was macht Ihr neues Album «Millennium Symphony» für Sie so besonders?

David Garrett: Es ist ein sehr frisches Album. Es ist das erste Mal, dass sich mein Album wirklich um die moderne Zeit dreht. Ich habe viele Crossover–Alben in den letzten fünfzehn Jahren herausgebracht, die aber alle mehr auf 70er– und 80er–Jahre Rock fokussiert waren, nur teilweise war etwas Moderneres dabei. Aber «Millennium Symphony» ist thematisch wirklich Musik ab den 2000er–Jahren und aufwärts. Dementsprechend ist es ein Album, das uns allen wegen aktueller Radioplaylists musikalisch in den Köpfen mitschwingt und das macht den grossen Unterschied.

Wonach haben Sie die Songs denn ausgewählt?

Garrett: Natürlich erst einmal danach, ob sie auf dem Instrument funktionieren. Es muss eine Melodie sein, die nicht monoton ist und auch auf meinem Instrument einen grossen Wiedererkennungswert hat. Aber auch das Arrangement im Original ist wichtig: Was kann ich daraus ziehen, um eine kreative Orchestrierung zu schreiben? Nimmt man als Beispiel «Shape of You» von Ed Sheeran. Das ist sehr puristisch geschrieben, fast schon minimalistisch im Original. Trotzdem stecken bei der Analyse so viele verschiedene Facetten in diesem Stück, dass man daraus etwas ganz Grosses machen kann.

Gab es ein Stück, dass Ihnen besonders am Herzen lag?

Garrett: Es kulminiert sich im Endeffekt zu einer Playlist, die ich auch privat unglaublich gerne höre – und vielleicht auch schon über die Jahre instinktiv gehört habe, weil sie in meinem Ohr etwas anders klingt. Ich glaube, dass ich beim Musikhören die Vielfalt in den verschiedenen Stimmen im Unterbewusstsein wahrnehme und den Song dementsprechend gut finde. Ob das jetzt The Weeknd mit «Blinding Lights» ist oder «Flowers» von Miley Cyrus – die Lieder sind ja nicht ohne Grund sehr bekannt und weltweit grosse Hits geworden. Das sind zwei sehr gute Beispiele, bei denen wahnsinnig viel drin ist, die ich schon instinktiv von Anfang an toll gefunden habe, ohne sie direkt zu analysieren. Erst im Nachhinein, nach der Analyse, habe ich gemerkt, warum ich sie so gut finde.

Wie würden Sie Ihren privaten Musikgeschmack beschreiben, hören Sie Charts?

Garrett: Ich glaube, heutzutage hört sich keiner mehr aktiv die Charts an, aber aktuelle Musik ist immer mit dabei. Ich muss fairerweise sagen, dass ich auch viel Deep House und EDM höre. Gerade wenn du Gesellschaft hast, eine kleine Runde bei dir zu Hause, ist das Musik, die ein Gespräch nicht unterbricht. Das ist nicht despektierlich gemeint (lacht). Was die Komplexität angeht, ist es eben sehr einfach gehalten und nicht störend. Wenn ich jetzt zum Beispiel Jimi Hendrix im Hintergrund hätte, dann könnte ich keine Sekunde ein Gespräch führen, weil ich dann die ganze Zeit auf die Musik konzentriert wäre und ich glaube, vielen Menschen geht das so.

Zurück zu Ihrem neuen Album. Gibt es auch Songs, an die Sie sich nicht trauen?

Garrett: Diese Einstellung habe ich nicht. Ich finde, man sollte im Leben immer uneingeschränkt Ziele verfolgen. Bestes Beispiel neulich in den Schlagzeilen: Julian Nagelsmann hat geäussert, er will die WM gewinnen. Richtig so! Uneingeschränktes Denken, grosse Ziele, grosse Träume – das ist schön, das ist wichtig! Wenn man diese Vorstellung nicht hat, dann kann man es ja auch direkt sein lassen. Also nein, solche Songs gibt es bei mir nicht.

Erhalten Sie von den Originalkünstler der Songs eigentlich manchmal Feedback?

Garrett: Ja, absolut. Es ist natürlich erst einmal Pflicht, denn jedes Stück, das auf einer CD neu rauskommt, muss durch das Publishing. Das heisst, der Musikverlag, der die Rechte besitzt, muss zustimmen. Bei vielen Künstlern weiss ich, dass sie dann privat auch mal kurz reinhören. Bei manchen Künstlern ist es etwas komplizierter. Eminem hat in seinem Leben drei Cover–Versionen akzeptiert – und eine davon war «Lose Yourself», die ich gemacht habe. Darauf bin ich sehr, sehr stolz.

Im März gehen Sie mit «Millennium Symphony» wieder auf grosse Welttournee – aktuell sind Sie aber auch rund um den Globus unterwegs. Wird Ihnen das Tour–Leben manchmal zu viel?

Garrett: Auch wenn man ein Projekt sehr, sehr lange spielt – wir waren auf der Klassiktour mit «Iconic» jetzt über 18 Monate unterwegs und das quasi ohne richtige Pause – wird das Programm für mich nicht langweilig. Aber es ist natürlich ein sehr monotones Leben. Vom Flughafen zum Hotel, zur Halle, dann nach dem Konzert wieder ins Hotel, packen, morgens los zum Flughafen, neues Hotel, neues Land, von dem du nichts siehst, eine neue Stadt, die du nicht kennenlernst... Natürlich geht das irgendwann mal an die Substanz, auch körperlich. Wahrscheinlich sogar eher körperlich als geistig. Da denkt man immer wieder: Ein Wochenende zu Hause wäre jetzt schön.

Wie bereiten Sie sich physisch und mental auf so einen Konzertmarathon vor?

Garrett: Üben, üben, üben. Auch wenn ich nur eine Stunde Zeit habe, egal wie müde ich bin – zumindest die Basics des Geigenspiels, also Tonleitern, Bogenübungen, müssen gemacht werden. Ich bin aber auch niemand, der sagt, dass man üben sollte, wenn man keine Konzentration hat. Ich glaube, dass falsches Üben viel schlimmer ist als gar nicht üben. Aber ich spiele die Basics – die sind ja mittlerweile so in meinem Körper drin, dass ich sie auch, wenn die Konzentration nicht da ist, gut durchbekomme. Das ist wie Zähneputzen: Egal wie spät es ist, die Bewegungsabläufe kennt man und die müssen gemacht werden. Dementsprechend ist das Pflichtprogramm. Alles andere: Wenn die Konzentration da ist, gerne, aber wenn man zehn Stunden Zeitunterschied hat und sich eh nicht so gut fühlt, dann lieber mal schlafen. Hinlegen vorm Konzert, erst kurz vorher geweckt werden, duschen, anziehen, zwei Espressi und dann geht's los.

Haben Sie Ihr neues Album wegen dieser Rastlosigkeit in Ihrer Wahlheimat New York aufgenommen?

Garrett: Ich habe dort studiert, ich hatte dort zum ersten Mal soziale Kontakte, denn ich hatte bis sehr spät auf dem Gymnasium nur Privatunterricht. Dementsprechend wurde der Standort New York dann auch meine Heimat – und ist es immer noch. Ich habe viele Kontakte noch aus der Collegezeit, die ich nicht abbrechen möchte. Ich habe das Album deshalb sozusagen bei mir zu Hause aufgenommen – also nicht in meiner Wohnung, aber ich konnte vom Studio nachts zu mir nach Hause fahren, habe in meinem eigenen Bett geschlafen, habe meine Geige dort abgelegt, wo ich sie normalerweise ablege und mal nicht aus dem Koffer gelebt.

Wie würden Sie die Beziehung zu Ihrem Instrument beschreiben? Ist das für Sie eher ein Arbeitsmittel oder so etwas wie ein Freund?

Garrett: Ein Freund, ja. Arbeitsmittel aber auch... vielleicht kann man es am besten wie ein Auto beschreiben. Es bringt dich von A nach B. Ohne wäre das Leben schwieriger, weil man darauf angewiesen ist, öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen. Teilweise würde man verspätet ankommen, es würde unprofessionell beim Arbeitgeber wirken... Ich würde die Geige so beschreiben: Sie bringt mich wirklich an meine Ziele, so schnell wie möglich. Ich muss trotzdem die Arbeit aufbringen, um dorthin zu kommen, aber es gibt bei der Geige keine Verspätungen. Dafür aber auch keine Entschuldigungen: Wenn du ein Top–Instrument hast, musst du abliefern. Es liegt an dir, wenn etwas nicht vernünftig klingt. Du hast eine grosse Verantwortung, mit so einem Instrument gut umzugehen.

Haben Sie schon mal daran gedacht kürzerzutreten oder ist das aktuell noch das Leben, das Sie erfüllt?

Garrett: Als Musiker sagst du: Schlafen kannst du, wenn du tot bist. Das ist auch so. Ich bin ein Arbeitstier, ich bin so erzogen worden, zu arbeiten. Nicht, weil Arbeit etwas Negatives ist, sondern weil mir meine Arbeit Spass macht, weil es etwas ist, was mich beflügelt, motiviert und selbstbewusst macht. Ich bin keine faule Socke und ich will mich auch nicht als faule Socke fühlen. Mit Freunden abzuhängen, einen entspannten Tag zu haben, das gibt mir nicht so viel. Das ist schön, aber für mich als Person, als Künstler, als Mensch gibt es mir viel mehr, wenn ich merke, ich habe mich entwickelt. Das ist das Schönste überhaupt! Das Gefühl, abends ins Bett zu gehen und zu wissen, man ist ein Stück weitergekommen. Ich habe das Gefühl, dass das ein bisschen verloren geht. Sich emotional durch die Arbeit etwas zu geben – ich finde, das bringt ganz viel. So ein Larifari–Leben, das mag ich nicht, das ist doch total langweilig.

Sie haben im letzten Monat Ihren Geburtstag gefeiert und sind 44 geworden. Ist das für Sie ein Anlass, auch mal innezuhalten und auf das zurückzublicken, was Sie erreicht haben?

Garrett: Zurückblicken tue ich nicht – nach vorne schauen, das ist meins! Im Moment leben, den Augenblick geniessen und mit den Gedanken in der Zukunft sein, das ist eher meine Einstellung. Selbst an Geburtstagen. Gerade zu diesem Anlass kommen alle Partner und Freunde zusammen, die mich bei meiner Karriere unterstützen, aber es verfällt bei mir komischerweise nie in Nostalgie. Ich rede dann meistens von der Zukunft. Die Armen! Die sitzen dann da an meinem Geburtstag und ich benutze das quasi als Brainstorming–Meeting für die nächsten zwei Jahre. Dann springe ich von einem zum anderen und sage: «Hör mal, ich habe da noch eine Idee, wieso machen wir es nicht so?» Wirklich, das ist sehr schön für die (lacht). Ich sehe das als freies Meeting, das sollten die Leute schon wissen – das ist kein Larifari. Da wird gearbeitet!

Sie haben sich also grosse Ziele für die kommenden Jahre gesteckt?

Garrett: Hunderte. Wenn wir über das Album reden, sind die ersten Gedanken natürlich, wie ich die kommende Tour inszeniere. Da bin ich sehr akribisch und habe es mir in den letzten 15 Tourjahren auch nie nehmen lassen, wirklich jedes Detail im Kopf mit der Musik abzustimmen. Die erste Idee, die mir diesmal einfiel, war, eine vertikale LED–Wand aufzustellen, die gleichzeitig auch das Orchester beinhaltet und auf die Plätze der einzelnen Musiker abgestimmt ist. Das heisst, wenn die Oboe ein Solo spielt, dunkeln wir das gesamte Orchester ab und beleuchten nur das jeweilige Instrument. So kann man auch etwas lernen: Leute, die sich im Orchester nicht so gut auskennen, sehen zum ersten Mal genau, welches Instrument gerade zu hören ist. Man kann die Instrumente mit diesem Konzept unglaublich spannend hervorheben – nicht nur klanglich, sondern auch visuell. Das ist jetzt eine von 10.000 Ideen, die ich für die Tour habe.

Damit lenken Sie den Fokus von sich selbst als Hauptprotagonist weg...

Garrett: Ich kann eines sagen im Leben: Je mehr du als Künstler den Fokus auf andere legst, desto mehr strahlst du selbst. Arroganz ist auf der Bühne völlig fehl am Platz! Ich sage immer zu meinem Drummer: «Gib Vollgas!» Wenn er dann sagt, er will mir nicht das Licht nehmen, sage ich: «Nimm mein Licht! Ich will, dass du strahlst! Wenn du strahlst, strahlen wir alle – wenn alle strahlen, strahle ich. Geniesse es!» Sie sollen alle das Licht, das Lob bekommen, das ist ganz, ganz wichtig. Das Publikum soll ausrasten, nicht nur wegen mir, sondern auch wegen meiner Musiker. Je besser wir sind, desto mehr bekomme ich davon ab – und sie auch. Das ist Teamleistung.

Von SpotOn vor 2 Stunden