Eine schüchterne junge Frau betritt den Raum und bittet das Kamerateam verlegen, ob es sie aus einem möglichst vorteilhaften Winkel filmen könnte – denn sie habe zuletzt ein paar Pfund zugenommen. Bei der Frau handelt es sich um Gypsy Rose Blanchard und einzig ihre Kleidung deutet darauf hin, dass sie eine Straftäterin ist. An ihrer Schuld besteht kein Zweifel – sie hat bereitwillig gestanden, im Alter von 23 Jahren den Mord an ihrer Mutter in Auftrag gegeben zu haben. Doch so eindeutig die blosse Sachlage auch sein mag, die Frage nach Opfer und Täter ist es in diesem aufwühlenden Fall nicht.
Schon vor dem Gefängnis eine Gefangene
In sechs einstündigen Episoden dröselt die neue True–Crime–Dokumentation «Der Fall Gypsy Rose Blanchard», die im deutschsprachigen Raum exklusiv bei Crime + Investigation und Crime + Investigation Play zu sehen ist, die Hintergründe auf, die zu der Bluttat und der zehnjährigen Haftstrafe für Blanchard geführt haben. Schnell wird dabei klar: Eine Gefangene wurde sie nicht erst im Jahr 2016, als sie im US–Bundesstaat Missouri hinter Gittern landete – im Grunde war sie es schon ihr gesamtes Leben: «Meine Mutter kontrollierte alles, was ich tat. Ich musste im Rollstuhl sitzen. Sie erzählte allen, ich hätte Krebs. Aber das war alles gelogen.»
Die ermordete Clauddine «Dee Dee» Blanchard litt unter dem sogenannten Münchhausen–Stellvertretersyndrom. Die psychisch kranken Personen – in den meisten Fällen sind es die leiblichen Mütter – erfinden Krankheiten bei ihren Kindern oder führen gar gezielt deren Symptome herbei. Zunächst behauptete «Dee Dee», dass ihre Tochter an Epilepsie leiden würde und schwerhörig sei. Später rasierte sie ihrem Mädchen den Kopf, setzte sie in einen Rollstuhl und unter Medikamente, um sie krebskrank aussehen zu lassen. Nach aussen inszenierte sie sich derweil als die vom Schicksal im Stich gelassene Mutter, die alles für ihr vermeintlich schwerkrankes Kind tat.
Einblicke in eine kaum vorstellbare Gefühlswelt
Ihre Zusage für die True–Crime–Doku erklärt Gypsy Rose Blanchard mit den Worten: «Ich hatte sechs Jahre, alles aufzuarbeiten. Es gibt einiges, wovon bisher niemand wusste. Jetzt möchte ich mir all diese verstörenden Geheimnisse von der Seele reden.»
In «Der Fall Gypsy Rose Blanchard» wird mithilfe alter Videoaufnahmen ein Blick in die tragische Vergangenheit seiner Protagonistin gewährt. In den für die Doku geführten Interviews gibt Blanchard ausserdem Details über ihre Gefühlswelt vor und nach der Ermordung ihrer Mutter preis, die unter die Haut gehen. «Da ich angeblich an all diesen Krankheiten litt, bestand meine Kindheit aus Ärzten, Krankenhäusern und Operationen. Es nahm kein Ende.»
Mehrere Male hatte sie versucht, aus den Fängen ihrer Mutter zu entkommen und auch selbst unternahm sie einen gescheiterten Mordversuch. Die Tat führte schliesslich ihr Freund Nicholas Godejohn aus: «Ich bat ihn, sie zu töten. Deswegen bin ich im Gefängnis.» Am Ende sei es auf eine ebenso simple wie schreckliche Tatsache für Gypsy Rose Blanchard hinausgelaufen: «Entweder sie oder ich.»
Wie es so weit kommen konnte, warum niemand etwas bemerkte und was ein derartiges Martyrium in einem Menschen auslöst – die Doku geht diesen Fragen detailliert nach. Neben der inzwischen 32–Jährigen kommen hierfür auch Ärzte, Anwälte, Polizeibeamte und nicht zuletzt ihre Familienangehörigen zu Wort.
Die Geschichte ist noch nicht auserzählt
Bereits am Sonntag (7. April) wird die erste Episode von «Der Fall Gypsy Rose Blanchard» auf Abruf bei Crime + Investigation Play sowie Wow und weiteren Anbietern zur Verfügung stehen. TV–Premiere feiert sie dann ab dem 14. April immer sonntags ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen auf Crime + Investigation und ebenfalls als Stream via Crime + Investigation Play.
In den USA konnte die Doku ein beachtliches Publikum von sich überzeugen. In der Tat weckte die unfassbare Lebens– und Leidensgeschichte von Gypsy Rose ein so nachhaltiges Interesse, dass der produzierende US–Sender Lifetime bereits eine zweite Staffel in Auftrag gegeben hat. Diese soll sich mit der Zeit nach ihrer Haftentlassung beschäftigen, denn: Wenn auch auf Bewährung, so ist Gypsy Rose seit Ende 2023 frei – wohl das erste Mal in ihrem Leben.