Haben die Menschen beim Einkaufen eine wirkliche Wahlfreiheit? Das ist eine der Fragen, der Thilo Bode (76) in seinem neuen Buch «Der Supermarkt-Kompass - Informiert einkaufen, was wir essen» (S. Fischer) nachgeht. Er hat Qualitäts-Checks bei unterschiedlichen Lebensmittelgruppen vorgenommen und will Verbraucherinnen und Verbraucher über Gentechnik, Bio, Zusatzstoffe, Aromen, Pestizide, Tiefkühlkost, Gütesiegel und Qualitätstäuschung aufklären.
Bei der Recherche zu «Der Supermarkt-Kompass» habe ihn vor allem überrascht, «wie umfassend und mit welcher Dreistigkeit Verbraucher getäuscht werden und damit keine wirkliche Wahlfreiheit beim Kauf der Produkte haben», erklärt Bode im Interview mit spot on news. «Wichtige Informationen werden ihnen entweder vorenthalten, falsch dargestellt oder sind unverständlich», erklärt der Experte.
«Der Preis ist überhaupt kein Massstab für Qualität mehr»
Mit seinem Buch will er den Verbrauchern Informationen für den Einkauf im Supermarkt liefern. Sein eigenes Einkaufsverhalten habe sich nicht verändert, verrät er: «Aber ich bin noch mehr verärgert über die Unverschämtheit, wie wir Verbraucher - erlaubt aufgrund staatlicher Gesetze - beim Einkauf in Unwissenheit gehalten werden. Der Preis ist überhaupt kein Massstab für Qualität mehr.»
Wer gesund und nachhaltig einkaufen, dabei auch auf Arbeitsbedingungen achten und bei Fleisch und Wurst das Tierwohl im Auge behalten will, hat zur Orientierung theoretisch Labels und Etiketten auf den Produkten. Wie hilfreich sind diese in der Einkaufspraxis? «Etiketten und Gütesiegel helfen nicht oder nur sehr wenig, die Qualität eines Produktes zu beurteilen», antwortet Thilo Bode. «Diejenigen Labels, die wirklich hilfreich dazu wären, wie der ‹Nutri-Score› (früher Nährwert-Ampel) sind für die Hersteller nicht verpflichtend und deshalb weitgehend nutzlos.»
Bode hat sich für sein Buch im Supermarkt unter anderem Erdbeeren genauer angeschaut. Sein Rat, um hier beim Einkauf an die bestmögliche Qualität bei fairen Produktionsbedingungen zu kommen? «Die bestmögliche Qualität besteht heutzutage aus faden, geschmacksarmen Sorten. Erdbeeren würde ich, wenn überhaupt, nur in der Saison, und dann nur aus Deutschland kaufen, aber mich im Supermarkt über den Herkunftsort und den Hersteller informieren.»
Was bringt das Bio-Siegel?
Bio-Lebensmittel erfreuten sich zumindest vor der «Teuer-Krise» grosser Beliebtheit. Bode erläutert, dass das Bio-Siegel keine umfassende ökologische Herstellung garantiert. «Rindfleisch, Milch und Käse verursachen eine vergleichbare grosse Menge an schädlichen Treibhausgasen wie konventionelle Produkte», sagt der Autor. «Die Tierhaltung bei Bio schützt Tiere nicht vor schmerzhaften Krankheiten, weil es sowohl für die konventionelle als auch die ökologische Tierhaltung keinen staatlich vorgeschriebenen Gesundheitsschutz gibt. Der entscheidende Vorteil von Bio ist, dass keine synthetischen Pestizide und kein Mineraldünger eingesetzt werden dürfen.»
Viele Menschen müssen derzeit beim Einkaufen vermehrt aufs Geld achten. In «Der Supermarkt-Kompass» heisst es, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher die Qualität von Lebensmitteln nicht erkennen können, ist es nur rational, dass sie zu den billigeren Produkten greifen. Wenn billig nicht schlecht bedeutet - wird das neue Einkaufsverhalten den Markt generell verändern? «Ich glaube nicht», so der Experte. «Denn die gesetzlich erlaubte Täuschung des Verbrauchers ändert sich ja nicht. Aber die Discounter, die qualitativ keine schlechtere Ware anbieten, werden ihr Geschäft ausweiten können.»
Was muss sich ändern?
Verbraucher werden nicht ausreichend informiert und geschützt, bemängelt Bode. Was kann und muss sich ändern? «Die Gesetze müssen so geändert werden, dass Täuschung, Gesundheitsgefährdung und Tierquälerei konsequent verboten sind. Dazu ist es hilfreich, wenn Verbraucher im Supermarkt ihrem Unmut Luft machen. In meinem Buch gibt es für Beschwerden und Fragen eine Menge Anregungen», erklärt Thilo Bode.
Thilo Bode studierte Soziologie und Volkswirtschaft in München und Regensburg. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherrechtsorganisation foodwatch, um Täuschung und Gesundheitsgefährdung im Lebensmittelmarkt zu dokumentieren sowie die Schwachstellen in der Gesetzgebung aufzudecken.