Nach einer Infektion mit dem Coronavirus gilt man eigentlich als genesen. Doch viele Betroffene haben noch Monate später mit körperlichen Beschwerden zu kämpfen. Zu den Symptomen zählen unter andrem Konzentrationsprobleme, Geruchsverlust, Schlafstörungen, Herzrasen oder körperliche Ermüdung. «Etwa zehn Prozent aller mit dem Virus infizierten Menschen entwickeln Long-Covid-Symptome», weiss Neurowissenschaftler Prof. Dr. Martin Korte, Autor des Buches «Long Covid - wenn der Gehirnnebel bleibt» (DVA). Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt der Mediziner, wie man das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung minimieren kann, welche Therapien es Stand heute gibt und wie Betroffene ihre körperliche und geistige Fitness wiederherstellen können.
Über eine Million Menschen in Deutschland leiden unter Long Covid. Wie äussern sich die Symptome?
Prof. Dr. Martin Korte: Am häufigsten finden sich neurologische Symptome, wie Fatigue, also extreme, anhaltende Müdigkeit, Gehirnnebel, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Geruchsverlust, Muskel- sowie Kopfschmerzen oder Schlafstörungen. Daneben noch Herzrasen und Schwindel, Atemnot, Kurzatmigkeit und schnelle körperliche Ermüdung.
Welche Personen haben ein höheres Risiko, an Long Covid zu erkranken?
Korte: Zwei Drittel aller Erkrankten sind Frauen. Die meisten sind unter 60 Jahre alt und hatten oft vergleichsweise milde Covid-19-Verläufe. Aber auch Menschen mit Diabetes, Atopie und andere Autoimmunerkrankungen gehören zu den Risikogruppen. Im Unterschied zu lebensbedrohlichen Verläufen einer akuten Covid-19-Erkrankung, bei der vor allem ältere Männer über 60 Jahre betroffen sind.
Wie zeigt sich Long Covid bei Kindern?
Korte: Wir können vom gleichen Symptomspektrum wie bei Erwachsenen ausgehen. Aber es ist insgesamt schlechter untersucht. Generell erscheint der Verlauf milder zu sein und das Abklingen von Long Covid schneller vonstatten zu gehen. Aber es ist ein Mythos zu behaupten, Kinder bekämen kein Long Covid. Hier ist dringend mehr Forschung notwendig.
Kann Long Covid auch nach einer Impfung auftreten?
Korte: Ja. Es gibt das Post-Vac-Syndrom, aber es ist sehr selten. Zum Vergleich: Etwa zehn Prozent aller mit dem Virus infizierten Menschen entwickeln Long-Covid-Symptome, aber nur 0,02 Prozent aller Geimpften. Auch hier wären dringend Biomarker notwendig, um zufällig auftretende Erkrankungen nach einer Impfung klar von Long Covid unterscheiden zu können.
Wie kann man das Risiko, an Long Covid zu erkranken, minimieren?
Korte: Eine dreifache Impfung gegen SARS-CoV-2 reduziert das Risiko um 15 bis 50 Prozent. Die Datenlage ist noch unklar. Sicher ist, dass eine Impfung eine Risikominderung bedeutet, aber eine Impfung allein kein Long Covid verhindern kann. Grundsätzlich wäre also das Wichtigste, eine Infektion zu verhindern und hier gilt für mich weiter, in Innenräumen, die schlecht belüftet sind und wo man die Abstandsregeln nicht einhalten kann, eine FFP2-Maske zu tragen.
Welche Therapien gibt es?
Korte: Es gibt bisher keine etablierten, ursächlichen Therapien. Erprobt wird, ob immundämpfende Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen auch bei Long-Covid-Patienten helfen. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, ob Antihistaminika, welche normalerweise gegen Heuschnupfen eingesetzt werden, bei Long Covid die Symptome eindämmen kann. Erste erfolgversprechende Untersuchungen gibt es auch mit der hyperbaren Sauerstofftherapie. Hierbei wird in einer Überdruckkammer 100 Prozent Sauerstoff verwendet und dies soll nicht nur die Blutsättigung mit Sauerstoff erhöhen, sondern auch die Bildung neuer Gefässe anregen (Angiogenese). Die könnten dann virusbedingt verstopfe Gefässe ersetzen.
Es hat sich auch gezeigt, dass eine Impfung während einer Long-Covid-Erkrankung, genauso wie die Verabreichung des antiviralen Medikamentes PaxlovidR, die Symptome bei einer Subgruppe von Patienten verringern. Das könnte daran liegen, dass die erneute Anregung des Immunsystems durch die Impfung, oder durch Medikamente gegen SARS-CoV-2, den Restvirus aus dem Körper endgültig eliminiert.
Wie kann man seine körperliche und geistige Fitness wiederherstellen?
Korte: Unterscheiden muss man hier, ob man an einem Fatigue-Syndrom leidet, oder an einem der anderen Long-Covid-Symptome. Denn Fatigue-Patienten müssen mit ihren Kräften haushalten, sonst erleiden sie massive Rückfälle. Sie müssen lernen, mit ihren geringeren Energiereserven umzugehen, mehr Pausen zu machen und sich nur sehr gezielt und wohlüberlegt anzustrengen. Für alle anderen gilt: Atemübungen, langsames Aufbautraining oder auch Koordinationsübungen, die sowohl der Physis als auch der mentalen Konzentrationsfähigkeit guttun. Wer mit Sport wieder anfangen will, muss deutlich unter seinem vorherigen Niveau wieder einsteigen und vorsichtig, vor allem Herzfrequenz kontrolliert, das Trainingsvolumen langsam erhöhen.
Welche konkreten Übungen gibt es?
Korte: Wer einen Geruchsverlust erlitten hat, kann Übungen durchführen. Zum Beispiel verschiedene Gerüche in Fläschchen einfangen und daran immer wieder riechen, um bekannte Gerüche wiederzuerkennen. Viele Patienten gewöhnen sich im Zuge einer Covid-19-Erkrankung eine falsche, viel zu flache Atmung an, um Schmerzen beim Ein- und Ausatmen zu umgehen. Die therapeutischen Ansätze sind hier Atemübungen, vor allem die Zwerchfellatmung. Das tiefe Einatmen und das konzentrierte Ausatmen müssen wieder geübt werden.
Prof. Dr. Martin Korte ist Professor für Neurobiologie an der TU Braunschweig. Er forscht auch am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Braunschweig und gehört zu den bekanntesten Hirnforschern Deutschlands.