Das Marvel Cinematic Universe ist die nach den reinen Einspielergebnissen erfolgreichste Filmreihe der bisherigen Kinogeschichte. Auf Disney+ wird die grosse, zusammenhängende Superhelden-Erzählung mittlerweile mit Streaming-Serien wie «Secret Invasion» oder «Loki» fortgesetzt. Angesichts des Überangebots an Filmen und Serien und einer spürbar abnehmenden Qualität der Veröffentlichungen beginnt sich bei Marvel-Zuschauern und -Fans jedoch in den vergangenen Jahren zunehmend eine gewisse Müdigkeit einzustellen.
Auf diese Tatsache gehen sogar mittlerweile - mal mehr, mal weniger direkt - die Entscheidungsträger bei den Marvel Studios und dem Disney-Konzern freimütig in der Öffentlichkeit ein. So erklärte etwa der zurückgekehrte Disney-Chef Bob Iger (72) erst in diesem Monat, dass Marvel «nicht nur seinen Film-Output gesteigert, sondern etliche TV-Serien produziert» habe. Dadurch sei «offen gesagt, Fokus und Aufmerksamkeit geschwächt» worden. Die Folge seien «einige Enttäuschungen» unter den Veröffentlichungen des Disney-Konzerns, so Iger.
Abwärtstrend seit «Avengers: Endgame»
Tatsächlich erreichte das Marvel Cinematic Universe seinen bisherigen Höhepunkt im Jahr 2019, als «Avengers: Endgame» weltweit die sagenhafte Summe von fast 2,8 Milliarden US-Dollar (umgerechnet fast 2,5 Milliarden Euro) einspielte, und damit mal eben zum - hinter «Avatar» - zweiterfolgreichsten Film der bisherigen Kinogeschichte avancierte.
Aber genau an diesem Punkt des grössten Erfolgs, so scheint es im Rückblick, setzten auch die ersten Probleme ein. Beliebte Darsteller wie Robert Downey Jr. (spielte Superheld Iron Man), Chris Evans (Captain America) und - mit ein wenig Verzögerung - Scarlett Johansson (Black Widow) verliessen das MCU. Adäquate Nachfolger konnte Marvel bislang noch nicht aufbauen.
Chadwick Boseman (1976-2020), der gerade erst in «Black Panther» (2018) und «Endgame» begeistert hatte, starb im August 2020 an einer Krebserkrankung mit nur 43 Jahren. Der charismatische Darsteller hätte mit Sicherheit einen Anker in der derzeit laufenden sogenannten fünften Phase des Marvel Cinematic Universe bilden können.
So aber wirkt es, als fehlten Marvel nicht nur neue Anführer unter den Helden, um die sich auch die Fans scharen können, es scheint auch an einer übergreifenden Vision und einem erkennbaren roten Faden zu mangeln. Denn die neueren Marvel-Filme und -Serien haben genau das bisher noch nicht zu leisten vermocht. Einzig bereits vor «Avengers: Endgame» etablierte Superhelden wie Spider-Man (in «Spider-Man: No Way Home», 2021), die Guardians of the Galaxy (in «Guardians of the Galaxy Vol. 3», 2023) oder mit Abstrichen Doctor Strange (in «Doctor Strange in the Multiverse of Madness», 2022) und Thor (in «Thor: Love and Thunder», 2022) scheinen noch die alte, vertraute Marvel-Begeisterung beim Publikum erzeugen zu können.
Konnte «Secret Invasion» glänzen?
Hinzu kommt ein nicht nur subjektiv spürbares Überangebot an Serien- und Film-Veröffentlichungen. In einem ganz typischen Marvel-Jahr der Vergangenheit wie etwa 2016 waren mit «The First Avenger: Civil War» und «Doctor Strange» lediglich zwei Blockbuster-Filme in den Kinos gestartet. Das Jahr 2022 brachte hingegen den Release von gleich drei Kinofilmen sowie den Streaming-Serien «Moon Knight», «Ms. Marvel» und «She-Hulk: Die Anwältin».
Da verwundert es nicht, dass Marvel-Mastermind Kevin Feige (50) bereits zu Beginn dieses Jahres eine gewisse Streckung des Veröffentlichungs-Rhythmus der Serien auf Disney+ angekündigt hat, damit jede Show laut seinen Worten «ihre Chance zu glänzen erhält».
Dennoch scheint auch auf der Serien-Seite die Tendenz nach unten zu zeigen und die Qualität der Veröffentlichungen merklich abzunehmen. Während erste Streaming-Shows der Marvel Studios wie «WandaVision» (2021) oder «Loki» (2021) noch Begeisterungsstürme unter Kritikern und Zuschauern auslösten (und in den kommenden Monaten mit der zweiten «Loki»-Staffel sowie dem «WandaVision»-Ableger «Agatha: Coven of Chaos» fortgesetzt werden), liessen gerade zuletzt veröffentlichte Shows wie «Moon Knight», «She-Hulk: Die Anwältin» oder «Secret Invasion» das Publikum eher kalt.
So steht etwa die Miniserie «Secret Invasion», in der Fan-Liebling und Nick-Fury-Darsteller Samuel L. Jackson (74) endlich einmal ganz im Mittelpunkt stehen darf, auf der Kritiken-Sammelseite «Rotten Tomatoes» derzeit (Stand: 26. Juli) bei einer nicht sonderlich überzeugenden Bewertung von nur 59 Prozent positiver Rezensionen.
Kritiker beschreiben die Show wahlweise als «eintönig und langsam» oder «frei von Suspense», und nennen die zahlreichen Dialogszenen der Serie «lethargisch». Für ein Marvel-Projekt, das neben Jackson auch den famosen Charakterdarsteller Ben Mendelsohn (54), «Game of Thrones»-Star Emilia Clarke (36) und Oscarpreisträgerin Olivia Colman (49) aufbietet, eine höchst bedenkliche Einschätzung.
«Daredevil», «Deadpool 3» und «Blade»: Kann Marvel das Ruder noch einmal herumreissen?
Ganz abschreiben sollte man das Marvel Cinematic Universe und die Marvel Studios trotz der erwähnten eher enttäuschenden jüngeren Veröffentlichungen selbstverständlich nicht. Denn mit der Streaming-Serie «Daredevil: Born Again», dem ersten «Deadpool»-Film mit Superstar Ryan Reynolds (46) unter der Ägide der Marvel Studios und dem «Blade»-Reboot mit dem zweifachen Oscarpreisträger Mahershala Ali (49) in der Hauptrolle stehen einige der aller Voraussicht nach coolsten und aufregendsten Marvel-Titel der kommenden Jahre schon in den Startlöchern.
Doch leider macht der Doppelstreik der Drehbuchautoren und Schauspieler in Hollywood gerade diesen mit Spannung erwarteten MCU-Projekten aktuell einen Strich durch die Rechnung. So mussten die bereits gestarteten Dreharbeiten zur «Daredevil»-Reboot-Serie und zu «Deadpool 3» unterbrochen werden, während «Blade» erst nach Ende des Streiks in die Produktion starten soll.
Die bereits angekündigten neuen «Avengers»-Filme «Avengers: The Kang Dynasty» und «Avengers: Secret Wars» sind zudem bereits im Juni dieses Jahres von Disney nach hinten verschoben worden. Sie sollen nun 2026 und 2027 in den Kinos erscheinen - und damit satte sieben Jahre nach dem eingangs erwähnten bislang letzten «Avengers»-Titel «Endgame».