Michail Gorbatschow (1931-2022) ist tot. Der Mann, dem die Deutschen massgeblich ihre politische Einheit zu verdanken haben, war in seinen letzten Lebensjahren fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden: Der Friedensnobelpreisträger lebte zurückgezogen in einer Datscha in einem Vorort von Moskau. Schon längere Zeit hiess es, es gehe ihm gesundheitlich nicht besonders gut. Bei einer Buchvorstellung, einem seiner letzten öffentlichen Auftritte, beschrieben Zeugen einen stark gealterten Gorbatschow, der sich auf seinen Gehstock und auf die Hand eines Mitarbeiters stützte. Bei den 30-Jahr-Feiern zum Mauerfall im Jahr 2019 fehlte Gorbatschow aus gesundheitlichen Gründen.
«Ein wirklicher Revolutionär»
Einst war er einer der mächtigsten Männer der Welt. Der Sohn eines Mähdrescherfahrers im Nordkaukasus geht als einer der grossen Reformer und Versöhner mit dem Westen in die Geschichte ein. Der letzte Generalsekretär der KPdSU und erste Präsident der Sowjetunion leitete die Perestroika (Dt. «Umstrukturierung») und somit das Ende des kalten Krieges zwischen dem Westen und Osten ein. Der langjährige deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher (1927-2016) sagte über ihn: «Gorbatschow hat mit der Politik der Perestroika eine Revolution eingeleitet. Er ist ein wirklicher Revolutionär. Er hat eine Freiheitsrevolution in Gang gesetzt.»
Vor allem hat Gorbatschow schon 1989 die Deutschen zur Wiedervereinigung ermutigt; das galt noch Monate vorher als völlig utopisch. 1990 wurde er dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Letztendlich bedeutete seine Öffnung nach Westen auch das Ende des Sowjetreiches, was ihm viele in seiner russischen Heimat nicht verziehen haben sollen.
Sein Rücktritt
Wenige Monate nach einem gescheiterten Putschversuch im August 1991 trat Gorbatschow als Präsident der UdSSR zurück. Zuvor hatten die Präsidenten von Russland, Weissrussland und der Ukraine vertraglich die offizielle Auflösung der Sowjetunion vereinbart. Damit war Gorbatschows politische Karriere beendet. Für die Deutschen war und ist der Russe ein politischer Held. In Deutschland wurde auch Gorbatschows krebskranke Ehefrau Raissa (1932-1999) behandelt. Die charismatische Soziologie-Professorin war seine grosse Liebe und stets an seiner Seite.
Im Westen war seine Frau ebenfalls sehr angesehen, im Osten dagegen hatte sie aufgrund ihres glamourösen Auftretens bei der Bevölkerung einen eher umstrittenen Stand. Das machten sich politische Kreise zunutze. In der Endphase der Sowjetunion wurden Intrigen gegen Raissa gesponnen, um ihren Mann zu treffen. Sie habe sehr an der Kritik und Häme gelitten, der er wegen seiner Reformpolitik ausgesetzt gewesen sei, sagte Gorbatschow in einem «Stern»-Interview. «Meine Familie steckte mittendrin im glühenden Kessel der Perestroika. Sie musste Schreckliches aushalten. Für Raissa, meine Frau, war das einfach zu viel.»
Tiefe Trauer um Ehefrau Raissa
Bereits vor dem Militärputsch von 1991 war sie an Leukämie erkrankt. Es folgten weitere gesundheitliche Rückschläge. Dennoch wurden in Russland Gerüchte gestreut, Raissa Gorbatschowa wolle nur von den Schwächen ihres Mannes ablenken - Intrigen, die ihr Mann lange nicht verkraftet hat, wie er dem «Stern» sagte: Kurz vor ihrem Tod habe sie einen Satz gesagt, «der sich für immer in mir eingegraben hat: ‹Muss ich wirklich sterben, damit die Menschen mir glauben?›».
Raissa Gorbatschowa starb am 20. September 1999 mit 67 Jahren im Universitätsklinikum Münster und liess einen völlig verzweifelten Witwer zurück. Raissa wurde auf dem Friedhof des Moskauer Neujungfrauenklosters beerdigt. Ihre Grabstätte ziert die Skulptur eines Blumenmädchens, das ihr Mann stets mit frischen Blüten schmücken liess.
Er meldete sich zu Wort
Nach dem Tod seiner Frau besuchte Gorbatschow Deutschland des Öfteren. Tochter Irina hatte in Rottach-Egern am Tegernsee das stattliche Hubertus-Schlössl gekauft, in dem der ehemalige Kreml-Chef gern Urlaub machte und am Tegernsee spazieren ging.
Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit meldete sich der Ex-Präsident auch immer wieder politisch zu Wort. Er schrieb Bücher, gab Interviews, kümmerte sich um seine Gorbatschow-Stiftung, unterstützt von Tochter Irina, kämpfte für die Menschenrechte.
Nun ist Gorbatschow nach einer schweren und langwierigen Krankheit in einer Moskauer Klinik verstorben, teilte das Zentrale klinische Krankenhaus (ZKB) am Dienstag mit. Seine letzte Ruhe finden soll er auf dem Neujungfrauenfriedhof in Moskau - neben seiner Frau Raissa.