65. Da haben sich andere längst in den Ruhestand verabschiedet. Gehen angeln oder mit dem Hund Gassi. Stehen stundenlang vor Grossbaustellenzäunen oder im Tchibo rum und kommen nicht mehr aus der Stammkneipe raus. Nicht so er!
Harald Schmidt wird am 18. August 65 Jahre alt. Wie gerade durch die Presse ging, steht ihm dann eine Rente von 272 Euro im Monat zu - ein Betrag, den er nach eigenen Angaben auch «knallhart» abkassieren möchte. Da der Vermögensmillionär und gebürtige Schwabe einiges für sein Altenteil zugelegt haben dürfte, kann er völlig entspannt den Ruhestand geniessen. Keine Termine, keine Auftritte, keine Hetze - und jede Menge Zeit?
Viel zu tun ausserhalb des Hamsterrads
«Stimmt nicht!», protestiert er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). «Ich muss Text lernen. Ich habe einen Abend gemacht an der Oper Zürich zur Premiere des ‹Rheingold›. Im Herbst spiele ich Operette in Wien. Und ans Theater nach Stuttgart kehre ich auch zurück. Sie sehen, ich habe mehr als genug zu tun. Ich befinde mich eben nur nicht mehr in diesem Hamsterrad.»
Na ja, da ist auch noch der Nebenjob als Kreuzfahrtdirektor Oskar Schifferle in der ZDF-Serie «Das Traumschiff». Ausserdem wirkt Schmidt als Coach beim Amazon-Prime-Format «One Mic Stand» mit, bei der bekannte Comedians andere Promis ohne Show-Erfahrung auf Comedy-Auftritte vorbereiten.
Das macht er gewissermassen mit links: «Ich kann jemanden, der gewisse Grundvoraussetzungen mitbringt, darin bestärken, dass er Weltklasse ist. Extrem gesagt: Ich krieg die letzte Pfeife hoch-gequatscht. Es geht ja oft nur um Bestätigung und um die Ermutigung, sich nicht verunsichern zu lassen.»
Die 65 nimmt Schmidt, der keinen Tag jünger aussieht, äusserst gelassen. «Ein Traumalter! Hätte ich gewusst, wie toll es ist, wäre ich schon früher 65 geworden. Kann ich nur empfehlen.»
Gesundheitlich gehe es ihm auch gut. «Toi, toi, toi! Was natürlich nicht heisst, dass ich morgen rausgehe und umfallen könnte. Aber da ich nie Sport getrieben habe, habe ich keine kaputten Gelenke. Anderthalb Stunden nach dem Aufstehen bin ich jedenfalls topfit. Diese Zeit brauche ich aber dann schon.»
Von Dirty Harry bis Jäger des Spotts
Er war mal das grösste und beste Lästermaul der Nation, gleichermassen gefürchtet und geliebt bei Intellektuellen wie bei den unteren Zehntausend. «Dirty Harry» haben sie ihn ehrfürchtig genannt, auch Chef-Zyniker, Doyen der vereinigten deutschen Ironie-Innung Gag & Grinsen (IGG) und inoffizieller Dachverbandspräsident des Humorstandorts Deutschland («Der Spiegel»), Jäger des Spotts und so weiter.
Angefangen hat alles nach dem Abitur am Hölderlin-Gymnasium in Nürtingen bei Stuttgart. Da wusste der junge Schmidt, dass er Schauspieler werden wollte, es wurde nach dem Studium an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart (1978-1981) sein erlernter Beruf.
Den ersten Auftritt hatte er 1978 als wortloser Statist beim grossen Theatermann Claus Peymann in Anton Tschechows Stück «Drei Schwestern» am Württembergischen Staatstheater. Von 1981 bis 1985 war er bei den Städtischen Bühnen Augsburg, in der ersten Rolle spielte er in «Nathan der Weise» einen Mameluken, der nur zu sagen hatte: «Nur hier herein!». Das hat sich im Laufe der Zeit deutlich gesteigert.
Sein eigentliches Rüstzeug als Erstschlagwaffe in der deutschen TV-Unterhaltung holte er sich von 1984 bis 1989 am Düsseldorfer Kom(m)ödchen, wo er bei der grandiosen Kabarettistin Lore Lorentz (1920-1994) in die Lehre ging. Danach war er fit für andere Aufgaben. Neben der WDR-Spielshow «Psst» (1990-1995) moderierte er mit dem österreichischen Satiriker Herbert Feuerstein (1937-2020) die Satire- und Comedy-Sendung «Schmidteinander» (1990-1994, ebenfalls WDR). Dieses Format machte den kackfrechen Schlacks Harald Schmidt zur allseits akzeptierten TV-Grösse.
Witze, die heute unmöglich wären
Vollends zur Kultfigur wurde er mit seiner Late Night-Talkshow «Harald Schmidt», die 19 Jahre lang von 1995 bis 2014 bei verschiedenen Sendern (Sat. 1, Das Erste, Sky) ausgestrahlt wurde. Sein Markenzeichen: ein frecher, tabuloser bis teilweise unverschämter Umgang mit Spassopfern. Manche klagten und gingen vor Gericht wie die Ex-Tagesschausprecherin Susan Stahnke (54). Schmidts Polen-Witze führten zu aussenpolitischen Verstimmungen, bis der Talker vom polnischen Botschafter nach Polen eingeladen wurde und anschliessend auf seinen Spott verzichtete.
Hier eine kleine Auswahl seiner Sprüche:
«Viele Katholiken hätte gerne öfter Sex, sehen aber ihre Ministranten nur sonntags.»
«Zwei Britinnen haben den Nordpol erreicht, als erste Frauen. Morgen wird bekannt gegeben, wo sie eigentlich hin wollten.»
«Mich erinnert das antike Griechenland ein bisschen an Köln. In beiden gehört es einfach zum guten Ton, dass man schwul ist.»
«Ich will nicht behaupten, dass Hannover am Arsch der Welt liegt. Aber man kann ihn von dort aus schon verdammt gut sehen.»
«Die Zauberflöte ist von Mozart und nicht von Beate Uhse.»
«Es ist wunderbar, dass man im Fernsehen seine Defekte ausleben kann und dafür auch noch bezahlt wird.»
Er ist davon überzeugt, dass solche Frechheiten ein für alle mal Geschichte sind und sagt RND: «Heute würde meine Sendung nach einer Woche abgesetzt werden. Jedes Jahr eröffnete ich am Weltfrauentag die Show mit den Worten: ‹Guten Abend, meine Damen und Herren. Meine Herren, denken Sie daran: Heute ist Weltfrauentag. Stellen Sie Ihrer Gattin eine Rose ins Putzwasser.› Wäre heute unmöglich. Der Intendant würde sofort darauf verweisen müssen, dass er selbst daheim putzt.»
Dirty Harry - das ist die Seite von Harald Schmidt, die ganz Deutschland kennt. Dass er auch in Spielfilmen wie «Nich' mit Leo» (1995), «Late Show» (1999) und «Vom Suchen und Finden der Liebe» (2005) von Helmut Dietl (1944-2015) mitgewirkt hat und der Erfinder der Miniserie «Labaule & Erben» (2019) war, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Sein Privatleben hat er dagegen sorgsam abgeschottet. Er ist seit seiner Show «Schmidteinander» mit seiner Partnerin liiert. Das Paar lebt im Kölner Villenvorort Marienburg und hat fünf Kinder.
Zynische Oberfläche, humaner Kern?
Auch über sein Charity-Engagement redet er nicht viel: Er unterstützt das Zentrum gegen Vertreibungen und ist Schirmherr der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Dazu spottete er mal in der «Frankfurter Rundschau»: «Der Professor Hegerl sagte mir, er habe bei mir unter der zynischen Oberfläche einen humanistischen Kern entdeckt. Das hat mir wahnsinnig gut gefallen. Seitdem sehe ich das genauso.»
Es heisst, Selbstironie sei die Kunst, sich so durch den Kakao zu ziehen, dass er danach noch richtig gut schmeckt. Insofern ist Harald Schmidt ein Geniesser. Er ist gelassener geworden und pflegt eine milde Selbstironie, die ihm offensichtlich gut tut, z.B. wenn er über sich urteilt, dass er «im Grunde genommen einer sei, der auf die Bühne kommt und sagt: ‹Guten Abend, meine Damen und Herren. Kommt ne Frau beim Arzt›».
Nach einem Schmidt-Auftritt im Münchner Hinterhoftheater kam die «Süddeutsche Zeitung» 2010 zu der Erkenntnis, dass auf solchen Bühnen «die Leute reifen, die uns vor der medialen Verblödung schützen. Sind sie weg, bleibt nur noch das Saufen.» Dem würde Dirty Harry vermutlich nur ein Wort anfügen: Prost!